Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
Priestern von Apollo und Aphrodite beschäftigen und an sie weitergeben, was ich in den ägyptischen Tempeln lernen durfte. Amasis wünscht enge Beziehungen zwischen den einzelnen Denkungsarten und hat mir diesen schwierigen Auftrag erteilt, den ich erfüllen muss, ehe ich nach Griechenland zurückkehren kann. Dabei hätte ich sehr gern noch länger der Stimme von Neith gelauscht, deren Worte mich mit Begeisterung erfüllen. Sie, Vater aller Väter und Mutter aller Mütter, Mann, der die Frau erschafft und Frau, die den Mann erschafft, dieses geheimnisvolle Schöpferwesen, die Herrin über die himmlischen Sterne, deren Bleibe den Weltlichen immer und ewig verborgen bleibt und deren Schleier kein Sterblicher je lüften wird.«
Nitis hätte Pythagoras allzu gern ins Vertrauen gezogen und ihn gefragt, ob er ihr helfen könne, den Papyrus zu entschlüsseln. Er als Grieche würde doch bestimmt auf ganz besondere Art damit umgehen.
Doch die Priesterin schwieg.
War Pythagoras, als Freund und Schützling von König Amasis, nicht doch eher Feind als Verbündeter?
»Ich hoffe sehr, dass wir uns eines Tages wiedersehen, Nitis. Der Aufenthalt bei Euch in Sais gehört zu den wichtigsten Abschnitten meiner Reise.«
»Dieser Tempel steht Euch immer offen.«
»Ich danke Euch. Dann bis zum baldigen Wiedersehen – wenn es die große Göttin wünscht.«
Die Oberpriesterin der Sängerinnen und Weberinnen traf den Hohepriester am Eingang zum Heiligtum. Wahibra wirkte niedergeschlagen und schien um Jahre gealtert.
»Das Treffen hat eine schreckliche Wendung genommen«, sagte er. »Richter Gem hatte seine Leute dabei, die Kel gefangen nehmen wollten.«
»Wurde er verletzt?«, fragte Nitis voller Angst.
»Nein, dank der Hilfe seines Freundes Bebon konnte er entkommen. Bebon hat Richter Gem als Geisel genommen, bis er selbst fliehen konnte. Ich kann mir gut vorstellen, wie wütend Gem jetzt ist. Ab sofort werden die Bogenschützen den Befehl haben zu schießen, sobald sie Kel zu Gesicht bekommen.«
»Der Richter hat Euch verraten!«
»Nicht aus seiner Sicht. Weil er nur an die Beweise glaubt, hat er mir den Gefallen getan, um Kel so lebend in die Hand zu bekommen. Tun wir unsere Pflicht im Tempel, Nitis, im Augenblick sind wir machtlos.«
Nitis begab sich in die Kapelle mit der hölzernen Kuh, der ehrwürdigen Natur, Verkörperung der Göttin Neith, der ›großen Schwimmerin‹. In dieser Gestalt hatte sie zu Anbeginn der Zeit das Urmeer durchschwommen und das Universum geformt, in dem die Sternen-Seelen geboren und wiedergeboren werden.
Hie und da brannten Lampen und kleine Räucherfässer. Von der Kuh, die die Sonnenscheibe zwischen den Hörnern trug, waren nur der vergoldete Kopf und der Hals zu sehen – der Rest war unter einem purpurroten Schleier verborgen.
Nitis reichte ihr die sieben heiligen Öle, dann goss sie Wasser auf den Opfertisch, der mit frischem Brot, Zwiebeln und Feigen geschmückt war. Jeden Tag wurden diese Lebensmittel erneuert, aus denen die Göttin den Ka, die Lebenskraft, schöpfte.
»Nitis, ich bin hier.«
Es war Kels Stimme.
Er stand auf und trat aus dem Halbdunkel.
»Ich habe kein anderes Versteck gefunden.«
»Kommt, gehen wir zum Hohepriester.«
»Bringe ich ihn damit nicht in Gefahr?«
»Das muss er selbst entscheiden. Wo ist Bebon?«
»Er wohnt zusammen mit einigen Händlern in der Nähe vom Markt. Richter Gem konnte ihn nicht erkennen. Ehe ich ihn wieder treffe und mit ihm verschwinde, wollte ich Euch noch einmal sehen.«
»Da Ihr frei und unverletzt seid, sollten wir noch nicht aufgeben!«
»Wenn Ihr wüsstet …«
»Schnell, wir müssen uns beeilen, gleich kommen die Ritualisten mit den Opfergaben.«
Der Hohepriester begrüßte Kel sehr herzlich und umarmte ihn wie seinen eigenen Sohn.
»Verzeih mir, dass ich dich in diese Falle geschickt habe! Das wollte ich natürlich nicht. Mit seinem Verhalten hat sich der Richter unglaubwürdig gemacht. Aber er ist und bleibt der oberste Ermittler und hat jetzt nur noch im Sinn, dich zu töten.«
»Ich hatte keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen«, beklagte sich Kel.
»Wir brauchen Beweise, die so schlagend sind, dass sich selbst dieser starrköpfige Richter davon überzeugen lassen muss.«
»Fragt sich nur, ob er starrköpfig ist oder aber gegängelt wird«, meinte Nitis. »Sollte der Richter im Dienst der Verschwörer stehen, würde das sein Verhalten erklären.«
»An wen könnte ich mich im Palast wenden?«, fragte Kel. »Ich
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