Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
erteilt, ihn bei seiner Verhaftung zu töten, wenn Leben in Gefahr sind.«
»Das verstehe ich einfach nicht … Auf mich machte er weder den Eindruck, er sei ein Verbrecher, noch unmenschlich, noch …«
»Ihr seid einfach zu verständnisvoll, meine Liebe. Und dieser Kel scheint einige Verführungskünste zu besitzen.«
»Er wusste, dass der Helm gestohlen wurde und dass diese Verschwörung …«
»Daran ist dieser Verbrecher mit Sicherheit beteiligt! Er hoffte darauf, mit Eurer Unterstützung eine Gelegenheit herbeizuführen, bei der er mich dann hätte töten können.«
Zitternd vor Schreck umarmte die Königin ihren Gatten.
»Dann wäre ich die Ursache Eures Unglücks gewesen!«
»So beruhigt Euch doch, die Gefahr ist vorüber. Wisst Ihr denn, wo sich dieser Kel aufhält?«
»Nein, ich weiß es nicht. Aber der Hohepriester bat mich um die Erlaubnis, ihn unter seinen Schutz zu stellen.«
»Wahibra? – Ist er so gutgläubig, oder steckt er mit dem Verbrecher unter einer Decke?«
»Er hat Euch stets die Treue gehalten!«
»Und heute bringt er einen Mörder zu Euch, der Euer Handeln beeinflussen will. Schon eine seltsame Art, seinem König zu dienen, findet Ihr nicht?«
»Der Hohepriester soll an einer Verschwörung gegen Euch beteiligt sein? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Wie gesagt, Ihr seid einfach zu verständnisvoll. Wenn es um die Macht geht, sind die Menschen zu allem fähig.«
»Wir müssen den Helm wiederfinden und die Schuldigen bestrafen«, verlangte Tanit.
»Es war ein Fehler, mich und das Übersetzeramt anzugreifen«, sagte Amasis. »Und diesen Fehler werden sie teuer bezahlen.«
52
K önigin Tanit hat uns aufmerksam zugehört«, erzählte Kel Nitis. »Wahibras Beistand war wohl ausschlaggebend, und ich hoffe, ich konnte sie von meiner Unschuld überzeugen. Jedenfalls hat sie mir versprochen, dass sie mit Pharao Amasis sprechen will.«
»Dann beginnt die Untersuchung jetzt ganz von vorn. Wahrscheinlich werdet Ihr schon morgen für unschuldig erklärt und seid frei.«
Die Freude der jungen Frau steckte den Schreiber an.
»Daran wage ich noch nicht zu glauben, Nitis.«
»Am Ende siegt eben doch die Wahrheit, und die Zukunft steht Euch offen. Wollt Ihr vielleicht im Tempel arbeiten?«
»Ich muss noch so viel lernen.«
»Möglicherweise dürft Ihr eines Tages ins Archiv vom Haus des Lebens. Dort lagern solche Reichtümer, dass ein einzelnes Leben nicht ausreicht, sie zu entdecken.«
»Wollt Ihr mir helfen, damit ich Fortschritte machen kann?«
Der Hohepriester unterbrach ihr Gespräch.
»Mir wurde gemeldet, dass Henat gekommen ist und mich auf der Stelle sprechen will.«
»Der König handelt sehr schnell«, stellte Kel fest.
»Ja, aber nicht so, wie wir es uns erhofft hätten. Er sollte mich zu sich rufen lassen, nicht mir den obersten Mann vom Geheimdienst schicken. Ich bin deshalb äußerst beunruhigt und halte es für angebracht, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Verstecke Kel in der dritten Gruft, Nitis.«
Die Oberpriesterin führte den Schreiber in den Haupttempel. Nur wenige Lampen beleuchteten den Säulensaal, den Saal mit der heiligen Barke und den geheimen Gang, der zu den Kapellen führte, die um den Naos mit den geschlossenen Pforten angeordnet waren.
Mehrere Grüften verbargen sich im Inneren der gewaltigen Mauern unter den Steinplatten. Nur der Hohepriester und seine Gehilfen kannten ihre Lage und wussten, wie man hineingelangte. Das Geheimnis der dritten Gruft hatte er einzig und allein Nitis offenbart, als diese in die Mysterien vom Haus des Lebens eingeweiht wurde.
Die junge Frau überzeugte sich, dass nicht etwa gerade ein Ritualist dabei war, Opfergaben zu bringen. Als sie mit den Händen an zwei bestimmten Stellen auf die Steinplatten drückte, drehte sich ein schwerer Stein um die eigene Achse und gab den Blick auf eine schmale Öffnung frei.
»Nehmt eine Lampe und geht die Treppe hinunter«, wies sie den Schreiber an. »Ihr braucht keine Angst zu haben, es gibt genug Luft. Ich hole Euch wieder so schnell es geht.«
Kel gelangte in einen schmalen, länglichen Raum mit goldenen Schalen, die die Ritualisten zur Verehrung von Neith verwendeten. Die Wände waren mit Hieroglyphen und fremdartigen Szenen bedeckt – sie zeigten die Entstehung der Welt aus den Urwassern, die die Göttin mit der leuchtenden Kraft des Wortes beseelt hatte. Vor lauter Begeisterung vergaß der junge Mann seine Ängste und versuchte, diese erstaunlichen
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