Götterschild
richteten sich in ihrer ganzen Klarheit auf Tarana. »Geh nicht weg«, flehte sie, »ich habe Angst, dass dir etwas passiert.«
Mittlerweile hatten sich auch die anderen Frauen um Tarana und Thalia versammelt. Alle starrten das blonde Mädchen schweigend an. Niemand wäre auf die Idee gekommen, an Thalias Worten zu zweifeln. Die Istanoit wussten alle, dass sie etwas Besonderes war.
»Das hast du sehr gut gemacht, Thalia«, lobte Tarana mit sanfter Stimme, ohne dabei aber ihre Anspannung völlig verbergen zu können. »Weißt du, wie viele es waren?«
»Sicher mehr als hier um mich herum stehen«, versuchte Thalia eine Schätzung. »Aber genau kann ich es nicht sagen.«
Tarana sah sich zu ihren Stammesschwestern um. »Gebt allen Bescheid. Sie sollen sich bewaffnen, aber möglichst unauffällig.«
»Was ist mit den Männern?«, fragte eine der Kriegerinnen in die Runde. »Sie sind fast alle mit ihren Herden auf den südlichen Weiden. Sollten wir sie nicht holen?«
»Das ist zu gefährlich«, widersprach Tarana sofort. »Auf dem Weg könnten wir in einen Hinterhalt geraten – oder sie. Wer weiß, wo sich noch überall Feinde versteckt halten.« Bedrückt ließen einige der Istanoitkämpferinnen, deren Ehemänner zu den Hirten gehörten, die Köpfe sinken.
Tarana erhob sich dagegen mit einem entschlossenen Funkeln in ihren katzengrünen Augen. »Wir werden unser Lager verteidigen, denn Bajula steht uns bei. Die Angreifer haben soeben ihren größten Vorteil eingebüßt: Sie werden uns nicht unvorbereitet oder gar im Schutze der Dämmerung überfallen können, wie es vielleicht ihr Plan war. Stattdessen werden wir sie überraschen. Los jetzt, wir wissen alle, was zu tun ist.«
Während Thalia noch bewundernd an den Lippen ihrer Mutter hing, vor allem auch weil sie den unbeugsamen Willen spüren konnte, der hinter ihren Worten stand, liefen die anderen Kriegerinnen bereits los, um den Rest des Stammes zu alarmieren.
»Ich hole jetzt auch meine Waffen«, murmelte Daia, wobei ihr hübsches Gesicht seltsam blutleer wirkte, als sei es aus Wachs gegossen. Thalia brauchte nicht einmal ihre Gedanken zu lesen, denn ihre Furcht war unübersehbar. Daia wirkte schon die ganzen letzten Tagen recht angespannt, seit die Männer des Stammes aus Seewaith zurückgekehrt waren, wo sie einen Teil der Batras verkauft und bei dieser Gelegenheit auch einige Erkundigungen eingezogen hatten. Dabei war allerdings nichts über den Verbleib dieses Meatril herausgekommen, der Daia so sehr am Herzen lag, und dies hatte Daia mit großer Sorge erfüllt.
Tarana hielt ihre Freundin am Arm fest. »Sobald es losgeht, bleibst du an meiner Seite.« Sie nickte ihr ermutigend zu. »Wir passen aufeinander auf, wie bei Königswacht.«
Daia versuchte ein Lächeln, es wollte ihr aber nicht überzeugend gelingen. »Bin gleich wieder da«, sagte sie, drückte Arlion und Thalia noch einen Kuss auf die Wange und lief dann zu ihrem gemeinsamen Wohnzelt hinüber.
Tarana nahm unterdessen Arlion auf den Arm, der ebenso gebannt wie seine Schwester die Ereignisse verfolgt hatte, und ergriff Thalias Hand. »Ich bin sehr stolz auf dich, meine Große«, erklärte sie, »aber jetzt musst du mit den Kindern und Alten ins Versammlungszelt gehen. Dort bist du in Sicherheit. Ein paar Kämpferinnen werden zurückbleiben und das Lager bewachen. Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas geschieht.«
»Aber ich …« Thalia schluckte und kämpfte wieder mit den Tränen. »… ich kann euch doch helfen. Ich werde euch genau zeigen, wo ich sie gespürt habe.«
»Du hast alles getan, was du tun konntest«, entgegnete Tarana bestimmt und begann Thalia in Richtung Lagermitte zu führen. »Mehr als jedes andere Mädchen an deiner Stelle hätte tun können.« Sie schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Aber wenn es wirklich zu einem Kampf kommt, dann will ich mir um dich keine Sorgen machen müssen. Deshalb bleibst du mit Arlion bei den anderen im Versammlungszelt, bis ich sage, dass ihr wieder rauskommen dürft. Versprich es mir.«
Thalia nickte gequält. Warum war sie nur so jung? Am liebsten wäre sie auch auf ein Pferd gesprungen, um an der Seite ihrer Mutter diese Angreifer in die Flucht zu schlagen. Stattdessen musste sie nun dumm herumsitzen und auf den Ausgang des Kampfes warten.
Viel zu schnell waren sie bei dem großen, achteckigen Tuchbau angekommen, der dem Stamm bei den verschiedensten Anlässen als Treffpunkt diente. Jetzt allerdings kamen von überall her Kinder,
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