Götterschild
abgesehen, was er mit Artons Kind vorhat. Wir müssen also hier raus, und zwar so schnell es geht, um seine Pläne zu vereiteln.«
»Leichter gesagt als getan«, entgegnete Targ. »Die Tür ist massiv, die Gitterstäbe zwei Finger dick, das Mauerwerk fest, der Boden besteht aus Steinplatten. Um hier auszubrechen, brauchte man mindestens eine Schaufel und eine Spitzhacke und selbst dann würde es noch hundert Tage dauern.« Wie zur Bestätigung seiner Worte schlug er frustriert gegen die dicke Holztür, welche ihre Zelle verschloss.
»Dann müssen wir eben darauf setzen, dass uns jemand befreit«, entschied Meatril. »Megas hat noch nicht alle Truppen beisammen, die er braucht, um es mit den Istanoit aufzunehmen. Das bedeutet, uns bleibt noch ein wenig Zeit, um zu versuchen, irgendjemanden auf unsere Situation aufmerksam zu machen.«
»Und wie willst du das anstellen?« Rai runzelte die Stirn. »Die Wachen, die uns das Essen bringen und den Abort entleeren, sehen mir nicht so aus, als würden sie sich auf irgendwelche Geschäfte mit uns einlassen.«
Meatril ging zu dem vergitterten Kellerschacht hinüber, durch den ein wenig Tageslicht den Weg in ihre klamme Behausung fand. »Dieser Schacht befindet sich auf der Seite des Ratsgebäudes, die direkt an die Straße grenzt«, erklärte er. »Wir könnten Nachrichten auf Stofffetzen schreiben, die wir aus unseren Gewändern reißen, diese dann mit Steinchen und losen Brocken aus der Wand füllen und zu kleinen Beuteln zusammenbinden. Wenn sie schwer genug sind, müsste es uns eigentlich gelingen, sie bis nach oben auf die Straße zu werfen, wo sie dann hoffentlich jemand findet, der uns wohlgesonnen ist. Ich baue darauf, dass es in der Bevölkerung Seewaiths immer noch viele gibt, die sich an die Streiter von Königswacht erinnern und die der Citkirche ablehnend gegenüberstehen. Vielleicht können wir genug Unmut schüren, dass es zu einem offenen Aufstand kommt oder zumindest genügend Leute unsere Freilassung fordern. Ich weiß, dass das ziemlich umständlich erscheint, dennoch bleibt uns keine große Wahlmöglichkeit, denke ich.«
»Und mit was willst du diese Nachrichten schreiben?«, erkundigte sich Targ skeptisch. »Falls es dir entgangen ist: Feder und Tinte gehören nicht zur Einrichtung unserer noblen Unterkunft. Auch sonst käme mir nichts in den Sinn, das geeignet wäre. Es gibt hier keine Kohle, Kreide oder sonst irgendwelche färbenden Substanzen. Was schwebt dir da also vor?«
Meatril kratzte sich am Kinn, das mittlerweile von einem wuchernden Vollbart bedeckt wurde. »Zum Schreiben werden wir statt einer Feder unsere Finger nehmen«, begann er, sein Vorhaben zu erläutern. »Was die Tinte betrifft, so fällt mir allerdings mangels anderer Alternativen hier unten nur ein möglicher Ersatz ein: unser Blut.«
GEDANKENSPIELE
A chtzehn, neunzehn, zwanzig. Ich komme!« Thalia nahm die Hände vom Gesicht und blickte sich um. Neben ihr plätscherte der Fluss in seinem Bett aus bunten Steinen dahin. Über ihr ragte die gut zwei Schritt hohe Uferböschung auf. Noch im Frühling wäre es viel zu gefährlich gewesen, hier unten zu stehen, denn nach der Schneeschmelze schäumte das Wasser wild und furchteinflößend zwischen den steil abfallenden Uferrändern hindurch. Doch jetzt im Sommer gab der Fluss auf beiden Seiten seines Betts einen breiten Streifen Kies frei. Dort ließen sich hübsch gemusterte Steinchen sammeln und manchmal, wenn Thalia Glück hatte, sogar Muscheln oder kleine Krebse.
Mit den anderen Kindern des Stammes Verstecken zu spielen – wie jetzt gerade –, fand sie dagegen ziemlich langweilig. Um ihren Spielgefährten den Spaß nicht zu verderben, musste Thalia immer so tun, als wisse sie nicht, wo die anderen sich verbargen. Dabei konnte sie bereits nach wenigen Augenblicken, oft sogar noch bevor sie mit dem Zählen aufgehört hatte, die Orte recht genau bestimmen, an denen sich die übrigen Kinder aufhielten. Dafür musste sie nicht einmal sehen, wohin diese liefen, sondern es reichte vollkommen aus, wenn Thalia deren Gedanken irgendwo aufschnappte.
Sie schloss erneut die Augen und öffnete gleichzeitig ihren Geist. Der Erste, den sie bemerkte, war wie immer Arlion. Er kauerte nicht weit entfernt hinter einem großen Stein und sandte ihr, sicherlich unabsichtlich, beständige Wellen vergnügter Aufregung entgegen. Ihn zu finden, fiel Thalia in etwa so schwer, wie ein Feuer in der nächtlichen Steppe auszuspähen. Aber das erschien
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