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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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ihr auch nicht verwunderlich, schließlich war er ihr Geistbruder. Er hatte bisher nicht gelernt, sein Denken vor ihr zu verbergen, und dies auch nie für nötig befunden. Selbst Thalia hatte Schwierigkeiten, ihren Geist vor dem seinen zu verschließen, obwohl das in manchen Fällen durchaus wünschenswert gewesen wäre. Die Gedanken sprangen ständig ungezügelt zwischen ihren Köpfen hin und her. Gerade wenn Thalia die Augen geschlossen hielt, konnte es sogar manchmal geschehen, dass sich Arlions und ihr Denken so sehr vermengte, dass sie mit seinen Augen und Ohren die Welt um sich herum wahrnahm. Das fühlte sich allerdings sehr eigentümlich an, weshalb sie eine so weitgehende Verschmelzung meistens zu vermeiden versuchte.
    Thalia scheuchte Arlion aus seinem Versteck, was ihm ein übermütiges Quietschen entlockte. Nachdem er eine kleine Weile aufgeregt um sie herumgehopst war, beruhigte er sich langsam wieder und beschloss, seiner Geistschwester bei ihrer weiteren Suche zu helfen. Gemeinsam versuchten sie, ein paar verräterische Denkfetzen der restlichen Kinder aufzufangen. Natürlich gelang dies nicht ganz so leicht wie der Gedankenaustausch zwischen ihnen beiden, aber mit den Bruchstücken von Bildern, Gefühlen und Sätzen, die den beiden zutrieben, konnten sie den Suchbereich recht schnell eingrenzen. Gewöhnlich nahm sich Thalia beim Suchen stets zurück, lief erst noch ein wenig hierhin und dorthin, um den anderen nicht den Spaß zu verderben. Ihre Mutter hatte sie erst vor Kurzem wieder ermahnt, auch mit den Kindern des Stammes zu spielen, nicht bloß mit Arlion. Daher hätte sich Thalia eigentlich bemühen sollen, dieses Mal wieder wie eines der normalen Stammeskinder auf gut Glück in der Gegend herumzulaufen und Ahnungslosigkeit vorzutäuschen.
    Aber heute hatte sie aus irgendeinem Grund noch weniger Lust dazu als sonst. Um das ungeliebte Spiel zu einem schnellen Abschluss zu bringen, stöberte sie innerhalb kurzer Zeit alle Kinder bis auf eines auf. Dieser letzte Versteckte, ein Junge namens Felb, war etwas weiter entfernt in einen der zahlreichen angeschwemmten Baumstämme gekrochen, den der Fluss komplett ausgehöhlt hatte. Abgesehen davon, dass es im Inneren ganz sicher fürchterlich nach faulem Holz stank, hätte der Baumstamm unter normalen Umständen ein vortreffliches Versteck abgegeben, dachte Thalia. Sie bedauerte Felb ein wenig, weil er an so einem unangenehmen Ort ausharrte, nur um ihr zu entgehen, obwohl das doch völlig zwecklos war. Zielstrebig näherte sie sich in Begleitung von Arlion dem Stamm, bis sie unmittelbar vor der Öffnung stand, von wo aus sie bereits Felbs Füße sehen konnte. In diesem Moment berührte plötzlich etwas Kaltes ihren Geist, als hätte sie eine Schneeflocke gestreift. Sie sah sich überrascht um, doch außer ihren bereits gefundenen Spielgefährten, die in einiger Entfernung auf das Ende der Suche warteten, konnte sie niemanden in ihrer Umgebung ausmachen.
    ›Was ist?‹, forschte Arlion sofort in ihren Gedanken nach, als er Thalias Unruhe bemerkte. ›Felb ist in dem Baum.‹
    ›Ich weiß‹, entgegnete Thalia gedanklich, ›aber ich habe etwas anderes gespürt. Etwas Kaltes. Merkst du es auch?‹
    Arlion versuchte sich zu konzentrieren, dann wurde er plötzlich bleich. ›Böse Gedanken‹, dachte er erschrocken. ›Dunkel und kalt.‹
    In diesem Moment krabbelte Felb aus dem Baumstamm hervor. »Wie hast du mich denn hier drin so schnell gefunden?«, beschwerte er sich lautstark bei Thalia. Nachdem er sich aufgerichtet hatte, überragte er sie um gut einen Kopf. Wegen seiner Größe hielt er sich auch für den Anführer der Kindergruppe. »Und warum stehst du jetzt nur da und glotzt wie ein Batrakalb? So macht das keinen Spaß.« Er zischte verächtlich und stapfte wütend davon. »Wir spielen jetzt Steinmännchenschießen«, rief er den anderen zu, »aber Thalia darf nicht mitmachen. Die ist immer so komisch, mit der kann man nicht richtig spielen.«
    Thalia hörte gar nicht hin. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den unheimlichen Gedankenstücken, die in der Luft hingen wie ein Schwarm Moormücken. Woher kamen sie? Ganz sacht glitten die Eindrücke heran. Obwohl kaum wahrzunehmen, war Thalia doch sicher, dass sie aus mehreren Köpfen stammten. Sie suchte nach verständlichen Bildern oder Worten, doch immer mehr kam es ihr vor, als wühle sie sich durch einen Haufen feiner Tonscherben. Spitz, scharfkantig und hart wirkten sie, aber vor allem vollkommen

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