Götterschild
vollem Galopp einem verwundeten Wild durchs Unterholz nachstellten, oder auch von dem gejagten Tier selbst und in jedem Fall machten ihr solche wilden Gefühlssprünge große Angst. Doch die Gedanken, welche sie nun wahrnahm, glichen eher dem, was ihr vom nördlichen Flussufer zugeflogen war, bevor der Kampf begonnen hatte. Es handelte sich um Überlegungen von Menschen, die etwas vorhatten, die ruhig und zielstrebig auf irgendetwas Unheilvolles hinarbeiteten.
Thalia erhob sich, ohne dass Arlion und Felb es bemerkten, die viel zu sehr von dem Kampfgeschehen gefesselt waren. Vorsichtig zog sie sich hinter das Zelt zurück, neben dem sie bisher gelegen hatten, und machte ein paar Schritte in östliche Richtung. Sie war sich ziemlich sicher, dass die Gedanken dort deutlicher wurden, also lief sie noch etwas weiter, bis sie zwischen den Zeltreihen hindurch das kleine Wäldchen sehen konnte, das einige Hundert Schritt entfernt vom Lager still und grün in den Himmel wuchs. Die Pferde, die vorher zwischen dem Lager und diesem Gehölz gegrast hatten, waren nun alle mit den Kriegerinnen in den Kampf geritten und hatten eine Fläche zurückgelassen, auf der das sonst nicht selten bis an Thalias Kinn reichende Steppengras abgeweidet oder niedergetreten war. Und genau am Rande dieser Weidefläche, wo die Halme noch aufrecht standen, tauchte nun für einen Augenblick die Spitze eines schwarzen Helms zwischen den sanft wogenden Gräserähren auf.
Einen Moment lang vergaß Thalia vor Schreck zu atmen.
Das war die gleiche Art Kopfschutz gewesen, den sie eben schon am Nordufer des Flusses gesehen hatte. Nur wurden diese Schwarzhelme dort von sämtlichen Kriegerinnen des Stammes zurückgehalten, während die, die sie eben entdeckt hatte, sich ganz unbehelligt dem Lager nähern konnten. Es waren zwar ein paar Wächterinnen zwischen den Zelten zurückgeblieben, aber Thalia war sich sicher, dass die vielen Helmträger, die durchs hohe Gras pirschten, die wenigen Kriege rinnen leicht überwältigen würden. Und dann, überlegte Thalia ängstlich weiter, war es nur noch ein kurzes Stück bis zum Versammlungszelt, in dem sich die wehrlosen Kinder und Alten in Sicherheit wähnten. Die Schwarzhelme durften auf keinen Fall so weit kommen!
Thalia machte kehrt und rannte zu Arlion und Felb zurück. »Wir müssen die Reiter wieder ins Lager holen«, rief sie schon aus einiger Entfernung, sodass die beiden Jungen sich erschrocken umblickten.
»Schrei doch nicht so«, zischte Felb ärgerlich, »sonst merkt noch jemand, dass wir hier sind!«
»Das will ich ja gerade!« Thalia stellte sich neben ihn und begann, mit den Armen in der Luft herumzurudern. »Die Reiterinnen müssen unbedingt zurückkommen. Vom Wald dort drüben nähern sich noch mehr Feinde!«
Felb wurde blass. »Sie greifen auch noch von der anderen Seite an? Wie viele?«
»Viele«, gab Thalia ungeduldig zurück, »und jetzt hilf mir winken!«
Die beiden schrien und fuchtelten mit den Armen, bis sie nicht mehr konnten, aber keine der Kriegerinnen bemerkte die Kinder zwischen den Zelten am Lagerrand. Zu sehr waren sie mit den Angreifern am Flussufer beschäftigt.
»Das klappt nicht«, krächzte Felb heiser, »wir müssen zum Kampfplatz laufen.«
Thalia schüttelte den Kopf. »Das dauert viel zu lang, bis dahin sind die Schwarzhelme längst im Lager.« Wieder drohte ihre Angst die Oberhand zu gewinnen. Was sollte sie nur tun?
›Mama rufen‹, sandte ihr Arlion plötzlich einen Gedanken.
›Das versuche ich doch gerade‹, dachte sie aufgebracht zurück. ›Sie hört uns nicht.‹
›Nicht so‹, entgegnete ihr Bruder bestimmt. ›Denken rufen.‹
Thalia runzelte die Stirn. ›Das kann ich nicht. Sie ist viel zu weit weg und außerdem geht das nur bei dir. Mit jemand anderem hab ich das noch nie probiert.‹
›Jetzt probieren‹, beharrte Arlion, ›ich helfe dir.‹
Sie wollte den Vorschlag schon ablehnen, da wurde ihr plötzlich bewusst, dass es kaum noch etwas gab, was sie sonst unternehmen konnte. Jetzt würden sie es vermutlich nicht einmal mehr rechtzeitig zurück zum Versammlungszelt schaffen, um die anderen dort zu warnen.
,Gut’, dachte sie schließlich. ›Versuchen wir’s.‹
Gleich darauf konnte sie Arlions Gedanken neben sich spüren, wie er sie nach seiner Mutter ausstreckte, als wolle er ein Spielzeug auf einem Tisch erreichen, der eigentlich zu hoch für ihn war. Sie folgte dem Beispiel ihres Bruders und sandte ihr Denken ebenfalls aus, um zwischen
Weitere Kostenlose Bücher