Götterschild
hatte. Selira musste Belena sogar stützen, damit sie die Treppe zum Erdgeschoss des Ratsgebäudes bewältigen konnte. Ohne sich dort länger aufzuhalten, ging Shyrali weiter zum Ausgang und hinein in den strömenden Regen. Obwohl binnen weniger Augenblicke die Nässe einen Weg ins Innere der Regenmäntel gefunden hatte, empfand Rai es nicht als unangenehm, sondern im Gegenteil eher als Wohltat. Am liebsten hätte er seine muffigen Kleider gänzlich abgelegt, um sich endlich den Schmutz und Gestank ihres Kerkers vom Leib zu waschen.
Nachdem sie ein paar Mal abgebogen waren, wurden die Gassen, durch die sie sich bewegten, immer schmäler und die Häuser immer kleiner. Bisher waren sie keinem einzigen Menschen begegnet. Schließlich machten Shyralis Verbündete vor einer unscheinbaren Tür halt, klopften erst dreimal, danach noch viermal und wurden daraufhin von einer untersetzten Frau in einer Fleischerschürze wortlos eingelassen. Im Inneren empfing sie der Geruch von frisch geschlachteten Tieren, gemischt mit dem würzigen Duft verschiedener Kräuter. Offenbar hatten sie das Haus von der Rückseite aus betreten, denn dem Geruch nach musste sich im vorderen Teil eine Metzgerei befinden. Shyralis Gehilfen ließen sich von der Frau eine Öllampe reichen und stiegen dann die Kellertreppe hinunter. Dort betraten sie einen kleinen, mit diversen Fässern, Kisten und Schränken gefüllten Raum. Einer der Männer schob eine Kiste vor ein Regal, kletterte hinauf und betätigte irgendeinen Mechanismus hinter dem höchsten Regalbrett. Die eine Seite des Regals schwang nach vorne und eröffnete eine Passage in einen etwas größeren, düsteren Raum. Soweit Rai im Licht der Öllampe erkennen konnte, gab es dort bequeme Betten, einen Esstisch mit Stühlen, Schrank und Waschtisch mit einer großen Wasserschüssel.
»Geht ruhig hinein«, wurden sie von Shyrali aufgefordert, die ihrem Begleiter die Lampe abgenommen hatte. »Hier gibt es alles, was man braucht. Schlaf- und Waschgelegenheit, hinter dem Vorhang ein Abort …« Sie wies in eine Ecke. »Und ihr bekommt zweimal am Tag von der Hausherrin zu essen.«
»Wie unsere Kerkerzelle, nur möbliert«, bemerkte Targ wenig begeistert. »Kommen wir dann auch nicht mehr raus, wenn diese Regaltür geschlossen wird?«
»Doch, natürlich«, beteuerte Shyrali. »Man kann die Tür von innen entriegeln. Ich weiß, dass dieses Zimmer ziemlich klein und dunkel ist, aber hier seid ihr wenigstens sicher vor der Stadtwache und Megas’ Soldaten.«
»Eigentlich wollte ich mich nicht irgendwo verkriechen«, entgegnete Targ missmutig, »sondern mich auf Megas’ Fährte heften. Wie lange willst du uns denn hier unten verstecken?«
»Na ja«, meinte Shyrali mittlerweile merklich verstimmt aufgrund der mangelnden Anerkennung. »Ich hatte eigentlich vermutet, ihr wollt euch zunächst ein wenig ausruhen und zu Kräften kommen.« Sie musterte Targs abgerissene Gestalt. »Ihr könnt euch natürlich auch gleich, so wie ihr seid, wieder auf die Suche nach Megas begeben. Allerdings habe ich aus sicherer Quelle erfahren, dass er, bevor er in die Istaebene aufgebrochen ist, sich mit einem größeren Trupp Schwarzlanzer aus Ho’Neb getroffen hat, die heimlich in einer Bucht westlich von hier angelandet sind. In eurem Zustand wird euch wohl eher vor Entkräftung das Schwert aus der Hand fallen, als dass ihr gegen ihn irgendetwas ausrichten könnt. Aber bitte, macht, was ihr wollt.«
»Wir sind dir sehr dankbar für alles, was du getan hast, Shyrali«, kam Meatril Targ mit einer Antwort zuvor und warf ihm gleichzeitig einen tadelnden Blick zu. »Anscheinend sind wir nur alle etwas gereizt von der langen Untätigkeit während unserer Gefangenschaft und brennen darauf, endlich etwas zu unternehmen. Aber du hast natürlich völlig recht damit, dass wir uns erst einmal stärken und waschen sollten, bevor wir wieder aufbrechen. Und etwas Sauberes zum Anziehen wäre auch nicht schlecht.«
Shyrali nickte. »Frische Kleidung ist im Schrank, ich hoffe, es ist für alle etwas Passendes dabei. Ich werde die Hausherrin gleich bitten, ein Bad vorzubereiten. Bevor einer von uns euer Versteck betritt, werden wir an das Regal klopfen, und zwar erst zweimal, dann dreimal, dann einmal. Hört ihr irgendetwas anderes, müsst ihr davon ausgehen, dass ihr entdeckt wurdet.«
»Und dann?« Targs Laune hatte sich noch nicht gebessert. »Wir haben nichts, womit wir uns verteidigen können. Was hilft es also, wenn wir wissen, dass
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