Götterschild
Schmerzlichste beantwortet. Die selbst nur mehr etwa hundert Mann starke Truppe führte mindestens fünfzig Gefangene mit sich, beinahe ausschließlich Frauen und Kinder, die über lange Stricke aneinandergebunden waren, um eine Flucht zu verhindern. Dahinter folgten noch zahlreiche Pferde, auf deren Rücken gleich zwei oder drei Verwundete geschnallt waren, die anscheinend aus eigener Kraft nicht mehr laufen konnten. Targ stellte mit einem gewissen Gefühl der Genugtuung fest, dass es sich ausschließlich um Schwarzlanzer handelte, deren blutdurchtränkte Verbände bezeugten, wie schwer ihnen die Istanoit trotz ihrer Niederlage zugesetzt hatten.
»Fast die Hälfte von Megas’ Truppen ist beim Kampf gegen die Istanoit gefallen oder schwer verwundet worden«, raunte Targ den anderen von seinem Beobachtungsposten aus zu.
»Dann sind es immer noch mehr als hundert Mann«, zischte Selira zurück, die offenbar fürchtete, Targ ließe sich durch den Anblick von Megas’ stark dezimierter Einheit zu einer Unbedachtsamkeit verleiten.
»Kannst du Tarana oder Daia sehen?«, erkundigte sich Rai mit matter Stimme.
»Bisher nicht«, antwortete Targ, während er seinen Blick über die gefesselten Istanoit schweifen ließ. Dann entdeckte er plötzlich einen goldenen Haarschopf, der zwischen all den dunkelhaarigen Nomaden regelrecht herausleuchtete. »Da ist Daia«, flüsterte er betroffen, »und gleich daneben, das müsste Tarana sein. Also hat der Schweinehund sie tatsächlich in seine Finger bekommen.«
»Immerhin leben sie noch«, murmelte Rai leise.
»Was ist mit den Kindern?« Belena war plötzlich zu neuem Leben erwacht und drängte sich jetzt neben Targ zur Felskante, um ebenfalls einen Blick auf die Gefangenen werfen zu können.
Targ machte ihr Platz, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. »Da sind viele Kinder, aber keines davon ist blond«, meinte er mitfühlend.
Nach einer langen Weile ließ sich Belena mit leichenblassem Gesicht zurückfallen und sank kraftlos gegen die Felswand. Ihre Augen starrten ins Leere.
»Das heißt ja nicht gleich, dass Thalia etwas zugestoßen ist«, versuchte Rai sie zu trösten. Selira legte der jungen Mutter voller Anteilnahme eine Hand auf den Arm, doch diese schien sich bereits wieder in ihren Kummer zurückgezogen zu haben, denn sie reagierte weder auf den Zuspruch noch auf die Berührung.
Targ beobachtete inzwischen weiter, was sich in der Festung tat. Megas ließ mehrere Wachen aufstellen, die aber alle dem Strand zugewandt waren. Nach hinten zum Furchenstein hin postierte er niemanden, da er von dort offensichtlich keinen Angriff erwartete und seine Soldaten wohl auch zu erschöpft waren, um die gesamte Wehranlage die ganze Nacht über zu bewachen. Somit war die Gefahr, noch vor Sonnenuntergang von einem aufmerksamen Posten in ihrem Versteck entdeckt zu werden, äußerst gering, stellte Targ erleichtert fest. In der Nacht würde es in der Kluft dann so stockdunkel sein, dass es schon einer sehr großen Ungeschicklichkeit bedurfte, um doch noch die Aufmerksamkeit der Besatzung auf sich zu ziehen. Der Ecorimkämpfer entspannte sich ein wenig.
Die verwundeten Schwarzlanzer wurden allesamt in der nordwestlichen Ecke der weitläufigen Festung abgeladen, ein gutes Stück entfernt vom Nachtlager der unversehrten Soldaten. Vermutlich sollten das Stöhnen und das fiebrige Gemurmel der Schwerverletzten nicht den Schlaf der anderen stören, überlegte Targ. Außer ein paar Eimern mit Wasser erhielten die Unglücklichen keine weitere Pflege von ihren Kameraden. Wie Aussätzige verblieben sie in ihrem abgelegenen Eck, gut hundert Schritt entfernt vom Rest der Truppe.
Targ schüttelte angewidert den Kopf. So wie es aussah, gab es keinerlei freundschaftliche Bande in dieser Truppe, denn niemand hielt es für nötig, einem an Wundfieber leidenden Kameraden zur Seite zu stehen. Genau so hatte er sich die Elitekämpfer von Ho’Neb vorgestellt: ein Muster an Disziplin und Kampfstärke, aber kalt bis ins Herz, das wahrscheinlich ebenso schwarz war wie ihre Rüstung. Was hätte man auch unter einem Kommandanten wie Megas anderes erwarten können?
Doch bei diesem Gedanken kam Targ eine Idee. Ein kühner Plan begann in seinem Kopf zu reifen, der ihn, falls er gelang, in die Lage versetzen würde, unbemerkt in Megas’ Nähe zu gelangen, ohne dabei seine drei Begleiter zu gefährden. Wenn alles so ablief, wie er dachte, dann würde sich eventuell sogar eine Möglichkeit bieten, mit den
Weitere Kostenlose Bücher