Götterschild
vorspringenden Felsen Rais Pferd sein Ende gefunden hatte. Die zehn Schritt dorthin wären in einem kurzen Sprint rasch zu bewältigen gewesen, aber wegen des unebenen, losen Untergrunds entschied sich Targ für die ungleich mühevollere und langsamere Variante: Er kroch auf allen vieren.
Obwohl sich die spitzen, scharfkantigen Felsen in seine Haut bohrten, versuchte er, seinen Körper so eng wie möglich am Boden zu halten, damit die zahllosen Schatten, die die unterschiedlich großen Steine im Licht der Fackeln über den Boden streuten, seine sachten Bewegungen verschluckten. Ohne Alarm auszulösen, erreichte er den Kadaver des Pferdes. Um dem Tier sein Leiden zu verkürzen, hatte er ihm vorhin die Halsschlagader geöffnet, sodass es rasch verblutet war. Unter dem zusammengesunkenen Pferdeleib hatte sich inzwischen eine Lache aus geronnenem Blut gebildet, die in der Dunkelheit tiefschwarz aussah. Targ schluckte seinen Widerwillen hinunter und tauchte die Hände hinein. Mit dem zähflüssigen Blut beschmierte er seine Kleidung, Gesicht und Haare. Danach trennte er den Ärmel seines Hemds ab und zerteilte ihn längs in zwei Stücke, die er verknotete und so um seinen Kopf band, dass ein Auge verdeckt wurde. Damit war seine Verkleidung komplett. Auf diese Weise hoffte er, bei einer flüchtigen Musterung als Verwundeter durchzugehen und selbst von jemandem, der sein Gesicht schon einmal gesehen hatte, nicht sofort erkannt zu werden. Bei so wenig Aufmerksamkeit, wie die Schwarzlanzer ihren verletzten Kameraden schenkten, rechnete er sich gute Chancen aus, dass sein Plan funktionierte. Dann musste er nur noch eine passende Gelegenheit abwarten, um Megas zu töten.
Ein Geräusch ließ Targ herumfahren. Sein Herz machte einen gewaltigen Satz. Was er hörte, klang nach dem Schnüffeln eines Tieres. Vielleicht lockte das tote Pferd bereits die ersten Aasfresser an. Es wurde höchste Zeit, diesen Ort zu verlassen. So schnell wie möglich robbte er wieder zur Palisade zurück und hastete geduckt bis zur Nordwestecke der Festung, wo die Verwundeten lagen. Dort suchte er sich einen möglichst großen Stein, der nahe der Pfahlwand lag, stieg hinauf und rammte dann sein Messer so fest er konnte auf halber Höhe zwischen zwei Holzpfosten. Gespannt lauschte er, ob dieses Geräusch im Inneren der Festung irgendwelche Aufmerksamkeit erregt hatte, doch neben dem gelegentlichen Stöhnen eines fiebernden Soldaten vermochte er nichts Verdächtiges wahrzunehmen. Also setzte er seinen Fuß auf den Griff des in der Palisade steckenden Messers und stemmte sich hoch, bis er den Mauerrand zu fassen bekam. Vorsichtig ließ er sich über die angespitzten Pfähle auf den darunterliegenden, schmalen Wehrgang gleiten. Zusammengekauert verschaffte er sich einen Überblick. Die einzigen Wachen, die er entdeckte, standen am Tor und an der südlichen Mauer. Die restlichen Schwarzlanzer hatten sich in der Nähe des Eingangs um ein weitgehend heruntergebranntes Feuer versammelt und ein paar Schritt entfernt davon lagen oder saßen die Gefangenen. Das Lager der Verwundeten befand sich unmittelbar vor ihm und war nach wie vor unbewacht.
Targ beugte sich weit über die Palisade hinaus, um sein Messer zu erreichen. Nach einigem Rütteln kam es frei und er verwahrte es wieder in seinem Hosenbund unter seinem blutbeschmierten Gewand. Dann ließ er sich möglichst geräuschlos vom Wehrgang auf den Festungsplatz hinab und suchte eine geeignete Stelle, um sich zwischen die Verwundeten zu legen, was in der Finsternis, die in diesem Teil der Festung herrschte, gar nicht so einfach war. Targ stellte fest, dass nur die wenigsten das Glück hatten, auf Tüchern oder Decken zu liegen, weitaus mehr mussten hingegen auf dem blanken Steinboden ruhen. Targ entschied, dass ein Platz so gut wie der andere war, und kroch daher neben den nächstbesten Schwarzlanzer, in dessen Bein er die zackigen Schäfte dreier abgebrochener Pfeile zu erkennen glaubte. Der linke Arm des Mannes lag außerdem in einer Schlinge.
Targ versuchte gerade, sich so hinzulegen, dass die harten Bodenplatten einigermaßen erträglich waren, da hörte er eine brüchige, aber deshalb nicht weniger feindselige Stimme neben sich. Sie stammte von dem Mann mit den Pfeilen im Bein.
»Was kriechst du hier herum?«, wollte der Verwundete wissen. »Wenn du meinen Sold willst, dann warte gefälligst, bis ich tot bin, du verdammter Leichenfledderer.«
Targ blieb stocksteif liegen und versuchte nachzudenken. Was
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