Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
Vom Netzwerk:
weggerissen und er fand sich in der eisigen Umklammerung der tosenden Wassermassen wieder.
    Doch er versank nicht. Ebenso wie alle anderen, die bereits am Ausgang der Klamm angelangt waren, wurde er nur einige Dutzend Schritt weit über die Ebene gespült, bis sich das Wasser auf der großen Fläche so sehr verteilte, dass es nicht mehr genug Kraft hatte, ihn weiterzutragen.
    Hustend und spuckend kam er mit Mühe wieder auf die Beine. Trotz der vergleichsweise kurzen Zeit im eiskalten Wasser fühlte sich sein ganzer Körper taub an. Die Kälte hatte ihm alle Kraft aus den Gliedern gesaugt. Als er sich schließlich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, drehte er sich um und starrte angsterfüllt zu der Klamm zurück, durch die noch kurz zuvor Hunderte seiner Soldaten geflohen waren. Doch dort war nichts mehr. Der größte Teil der Wassermassen hatte sich dem Flussbett folgend über die Felskante in den nahen Talgrund ergossen. Der Fluss erschien nun so zahm wie zuvor. Aber von seinen Männern gab es nicht die geringste Spur. Die vom Drachen entfesselten Fluten hatten alle mit sich in den Abgrund gerissen, die sich zwischen den Felswänden befunden hatten. Geblieben waren Arden nur die paar Hundert Mann, die wie er selbst die Passage durch die Klamm rechtzeitig hinter sich gebracht hatten.
    Der Sieg der Echse war vollkommen. In wenigen Stunden hatte der Drache die größte Heerschar, die es jemals in den Ostlanden gegeben hatte, so gründlich hinweggefegt, dass kaum mehr eine Spur von ihr geblieben war. Noch niemals zuvor waren so viele Menschen auf einmal zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu Tode gekommen. Fast jede Familie aus Citheon, Etecrar, Süd- und Nordantheon hatte am heutigen Tag mindestens einen geliebten Menschen verloren, zum Teil waren auch ganze Sippen oder gar Adelshäuser ausgelöscht worden. Von den Verlusten dieses Tages würden sich die Ostlande noch in Jahrzehnten nicht erholt haben. An diese Schlacht würden sich die Menschen auf ewig als die schrecklichste Niederlage in der Geschichte erinnern, als den Untergang ihrer Welt. Und Ardens Name würde unauflöslich mit diesem kaum fassbaren Unglück verwoben bleiben, denn er war es schließlich, der das Verderben heraufbeschworen hatte.
    Arden ging in die Knie und barg das Gesicht in den Händen. Das erste Mal in seinem Leben empfand er tiefes Bedauern für etwas, das er getan hatte. Bis heute war es ihm stets gelungen, alles weit von sich zu schieben, für nichts wirklich Verantwortung zu übernehmen, die Schuld bei anderen zu suchen oder sich als ein Opfer misslicher Umstände zu betrachten. Das hatte sich jetzt mit einem Schlag geändert. Diese Schuld war so gewaltig, dass man nicht vor ihr davonlaufen oder irgendwelche Ausflüchte suchen konnte. Ein Gefühl, das ihm bis zum heutigen Tage fremd gewesen war, hielt ihn nun fest in seiner Umklammerung: tiefe Scham.
    Schließlich begann er in seiner Verzweiflung, zu den vier großen Göttern zu beten. Aber es handelte sich um keine lange Zwiesprache mit den Himmelsherrschern, kein Flehen um Vergebung oder Hadern mit seinem Schicksal. Stattdessen wiederholte er nur immer und immer wieder dieselbe kurze Bitte, dass sie doch seinem schmachvollen Dasein augenblicklich ein Ende bereiten sollten.

 
AUS DEN SCHATTEN
     
    M ajestät?« Eine sanfte Stimme zog Arden aus dem Dunkel, in das er versunken war. Er blickte auf und sah das besorgte Gesicht eines Soldaten vor sich. Arden kannte ihn nicht, aber das traf auf die meisten der Männer zu, die für ihn gekämpft hatten und gestorben waren. Er wusste nicht einmal eine Handvoll Namen, meist nur die der Befehlshaber und selbst die nicht alle. Viele dieser Menschen waren für ihren König in den Tod gegangen, doch für ihn waren sie bislang nur gesichtslose Waffenträger gewesen, die sich nach seinem Gutdünken herumschieben ließen wie Figuren auf einem Spielbrett.
    »Ich glaube, wir sollten von hier fort, Majestät«, sprach der unbekannte Soldat weiter, »solange wir noch etwas Tageslicht haben.«
    »Wie heißt du?«, brachte Arden mühsam hervor.
    »Mein Name ist Jerbald, Majestät«, antwortete der Soldat ein wenig verwundert.
    »Und woher kommst du?« Arden richtete sich mühsam auf. Seine nasse Kleidung hing wie Blei an seinem Körper und ihn fröstelte.
    »Aus Warrun«, gab Jerbald bereitwillig Auskunft. Es handelte sich um einen stattlichen Mann, mit markanten Wangenknochen und nach Landessitte kurz geschorenem Haupthaar. Doch die

Weitere Kostenlose Bücher