Götterschild
zurück in die Klamm, aus der jetzt seine Soldaten in dichten Reihen herausquollen, als fließe in dem Flussbett kein Wasser mehr zu Tal, sondern ein Strom aus Menschen. Die gesamte Klamm war angefüllt mit hastenden Gestalten und die Kolonne der Flüchtenden zog sich um den ganzen See herum bis ins Eistal hinein. Arden konnte nicht abschätzen, ob tatsächlich er es war, der all diese Soldaten vor den flammenden Gedanken der Echse beschirmte, oder ob der Drache ganz einfach die Lust verloren hatte an seinen jämmerlichen Gegnern. Aber aus welchem Grund auch immer, es zählte nur, dass inzwischen kein weiterer Angriff mehr erfolgte, sodass in Arden die Hoffnung zu keimen begann, dass er doch noch einen Gutteil seines Heeres würde retten können.
Dann erblickte er ein weiteres Mal den Drachen. Von seinem erhöhten Standort an der Böschung des Flusses am Ausgang der Klamm konnte Arden über die Köpfe seiner Männer hinweg bis zum gegenüberliegenden Ufer des Sees zurückschauen. Eben dort wurde er nun der majestätischen Gestalt des Drachen gewahr, der von den kräftigen Schlägen seiner riesigen, beinahe dreieckigen Schwingen getragen wie schwerelos über der Abbruchkante des Eisfeldes in der Luft stand. Tatenlos schien er so die Flucht seiner Feinde zu beobachten. An der Stelle, über der die Echse schwebte, war der bläuliche Panzer aus Eis, der sich von dem großen Schneefeld vor der Drachenhöhle bis hier zum Seeufer hinabzog, mindestens zwanzig Schritt dick und ragte wie ein Baldachin weit über die Wasserfläche hinaus.
Plötzlich spürte Arden, dass die glühenden Drachenaugen auf ihm ruhten. Das bedrohliche Rot brannte sich förmlich in sein Bewusstsein. Trotz der großen Entfernung meinte er, wieder Hitze in sich aufsteigen zu fühlen. Er begriff, dass es nicht vorbei war. Sein geschuppter Widersacher hatte seinen finalen Schlag noch nicht ausgeführt. Irgendetwas würde gleich geschehen, gegen das Arden vollkommen machtlos war. Und der Drache wollte, dass Arden das wusste.
Einen Moment hing die schlangenhafte Gestalt des großen Drachen noch in der Luft. Dann hörten ohne jede Vorwarnung die weit ausladenden Schwingen der Kreatur auf zu schlagen und schmiegten sich eng an den Körper. Das ganze Gewicht des gewaltigen Leibes sackte nach unten und schlug dumpf auf dem überstehenden Teil des Eisschildes auf. Ein lautes Knacken hallte mehrfach von den Felswänden zurück.
Die gesamte Schar der Flüchtenden blieb nahezu gleichzeitig stehen und wandte sich voller Schrecken um. Lähmende Angst legte sich über alle, die den Drachen erblickten. Ein paar Herzschläge später begann der gesamte überhängende Teil des Eispanzers abzubrechen. Dem heftigen Aufprall und dem weiterhin auf ihr lastenden Gewicht des Drachen hatte die von den sommerlichen Temperaturen bereits geschwächte Eisschicht nicht länger standhalten können. Eine Eisplatte von der Größe einer Festungsanlage rutschte zuerst langsam, dann immer schneller nach unten weg. Kurz bevor das mächtige Bruchstück ins Wasser des Sees eintauchte, hob der Drache mit eleganter Leichtigkeit ab. Das geborstene Eis traf die Wasseroberfläche. In einer Fontäne aus weißer Gischt schlug das Wasser wieder über dem herabgestürzten Eis zusammen und verschluckte es zur Gänze. Eine riesige Flutwelle stieg aus dem See und breitete sich mit erschreckender Geschwindigkeit in einem weiten Halbkreis über das Gewässer aus. Schon auf dem See hatte die Woge eine beeindruckende Höhe erreicht, aber an dessen Rändern baute sie sich zu einer todbringenden Wand aus eiskaltem Wasser auf. Mit unerbittlicher Wucht brach sie über den zahllosen Soldaten zusammen, die gerade dabei waren, den See zu umrunden, und begrub das Ufer unter sich. Alles, was sich dort befunden hatte, wurde mit tödlicher Wucht gegen die scharfen Steine der nahen Berghänge gespült.
Aber ihre volle Wirkung entfaltete die Welle erst in der schmalen Klamm. Die gesamte Kraft der aufgetürmten Wassermassen schien sich hier zu bündeln. Als würde sich der ganze See auf einmal durch diesen Spalt zwischen den Bergen entleeren, donnerte auf dem sonst geruhsam dahinplätschernden Fluss ein sechs Schritt hohes Ungetüm aus weißen Wasserwirbeln auf Arden zu. Das Grauen dieser alles zermalmenden flüssigen Walze schlug ihn so sehr in seinen Bann, dass er beinahe zu lange stehen geblieben wäre. Irgendwer packte ihn und zog ihn mit sich fort. Das Rauschen war ohrenbetäubend. Die Füße wurden ihm
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