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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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zurückliegenden Schrecknisse hatten dunkle Ringe unter seinen Augen und eine aschfahle Hautfarbe auf seinem Gesicht hinterlassen.
    »Also gut, Jerbald aus Warrun«, erwiderte Arden stockend.
    »Was denkst du, wie viele Männer es aus dem Eistal bis hierher geschafft haben?«
    Der Soldat zögerte. »Nicht mehr als fünfhundert, Majestät.«
    Arden nickte. »Fünfhundert von über zweihunderttausend.« Sein Gesicht verzog sich, als müsse er körperliche Qualen leiden. »Das kann ich nicht akzeptieren.«
    Jerbald blinzelte irritiert, wagte aber nicht, etwas darauf zu antworten.
    Arden sah dem Soldaten direkt in die Augen. »Wir müssen noch einmal zurück.«
    »Was?«, entfuhr es Jerbald. »Noch einmal zurück in diese Todesfalle?«
    »Ich will nicht glauben, dass nur fünfhundert meiner Männer davongekommen sind«, erklärte Arden mit zunehmender Selbstsicherheit. »Es muss noch weitere Überlebende geben, aber vielleicht sind sie verletzt und können sich nicht aus eigener Kraft aus dem Tal retten. Und selbst wenn es dort nur noch einen einzigen lebendigen Mann gibt, so werde ich ihn nicht zurücklassen, verstehst du? Zumindest das schulde ich diesen tapferen Soldaten.«
    Jerbald starrte auf seine Fußspitzen. Es war offensichtlich, dass die Angst vor dem fliegenden Unheil, dem er wie alle anderen hier nur um Haaresbreite entgangen war, ihn noch fest in ihrer Gewalt hatte.
    Arden legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich werde niemanden zwingen. Ich kann verstehen, wenn ihr mir nicht mehr folgen wollt. Aber ich gehe auf jeden Fall.« Damit hob er Ecorims Klinge vom Boden auf, behielt sie aber nicht in der Hand, sondern schob sie in die Scheide. Er stand zu dem, was er gesagt hatte. Er wollte seinen Soldaten nicht mit der Macht der Klinge den eigenen Willen aufzwingen, wie er es bisher immer getan hatte. Arden war inzwischen klar geworden, dass Ecorims Schwert so etwas wie die Verlängerung seines Willens oder eher noch seiner Empfindungen darstellte. Schon bei Königswacht hatte er jene berauschende Macht genossen, seinen Soldaten alles abverlangen zu können, was er wollte. Ohne zu zögern, waren sie bei der Umrandung des Furchensteins in die reißenden Fluten des Siegelbachs gesprungen, als er es ihnen befohlen hatte. Nicht einer war zurückgeblieben. Viele hatten daraufhin den Tod gefunden, doch Arden war ungerührt weitergezogen und die Begeisterung seiner Gefolgsleute hatte nicht nachgelassen, denn es war seine Begeisterung gewesen, die sie gefühlt hatten.
    Feuerzwinger! Die Worte des Drachen durchstachen in diesem Moment sein Bewusstsein. War es das, was die Echse meinte, als sie von »Feuerzwinger« gesprochen hatte? Dass er seine Leute mithilfe seines Schwertes zwang, in das Feuer der Drachengedanken zu ziehen? Dass er sie mit seinem eigenen Überschwang dazu brachte, etwas zu tun, was sie unter normalen Umständen niemals gewagt hätten? Das war ein erschütternder Gedanke. Doch vermutlich entsprach es ziemlich genau dem, was geschehen war. Dadurch wuchs seine Schuld ins Unermessliche. Auch der Umstand, dass ihm bis jetzt sein Handeln nicht wirklich bewusst gewesen war, schmälerte diese kaum zu ertragende Bürde nur unwesentlich. Gedankenlosigkeit war vielleicht weniger verwerflich als Vorsatz, dafür aber umso beschämender.
    Gerade deshalb musste er jetzt einen anderen Weg einschlagen, sonst würde er jeden Grund verlieren, weiterzuleben. Also stapfte Arden los, der Klamm entgegen. Seine Knochen schmerzten, als hätte man mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen, er zitterte vor Kälte und jeder Schritt in seinen tropfnassen Sachen war eine Qual. Doch er ging weiter.
    Es dauerte einige Augenblicke, dann schloss sich ihm Jerbald an. Diesem folgten weitere Soldaten, erst einer, dann eine Handvoll, dann ein Dutzend. Als Arden schließlich den Eingang der Klamm erreichte, hatte er alle Soldaten, die noch aufrecht gehen konnten, hinter sich. Alle wussten genau, dass der Drache womöglich immer noch irgendwo lauerte, um sein grausiges Werk zu Ende zu bringen. Aber sie folgten ihrem König aus freien Stücken, weil er bewiesen hatte, dass er ebenso sein Leben für seine Männer zu geben bereit war wie sie für ihn.
     
    Arden hatte recht gehabt. Es gab Überlebende. Volle zehn Tage dauerte es, bis alle Verwundeten geborgen waren. Die meisten wurden an den Ufern des Sees gefunden. Häufig hatten sie mehrfache Knochenbrüche davongetragen, weil sie von der Flut auf Felszacken und gegen die Bergwand geworfen worden

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