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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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seinen Händen die Reling, als wolle er ein Stück Holz herausreißen.
    Rai schwieg betroffen. Meatril wirkte zwar äußerlich nicht so mitgenommen wie sein Schwertbruder Targ, aber auch er hatte die Ereignisse auf Andobras noch keineswegs verwunden. Angesichts solcher Seelenqualen kamen Rai seine eigenen Schwierigkeiten mit Selira eher unbedeutend vor. Doch was, wenn sie eines der bedeutenden Dinge war, die es im Leben zu finden galt? In diesem Fall kann ich sie doch nicht einfach gehen lassen, dachte Rai beklommen.
     
    Nach zwei weiteren Tagen auf See hatten sie die Meerenge bei Tilet passiert, ohne dass ein feindliches Schiff auch nur in Sichtweite gekommen wäre. Seit sie den Quasul-Hor, jene lang gezogene Ost-West-Passage zwischen dem Binnenmeer Quasul-Jak und den jovenischen Eilanden, erreicht hatten, gab sich das Meer so sanftmütig, als wolle es die vergangenen stürmischen Tage vergessen machen. Die Sonne strahlte von einem blank gefegten Himmel und das erste Mal während ihrer Reise heizte sich die Luft so weit auf, dass sich auch ohne körperliche Anstrengung Schweißperlen auf der Stirn bildeten. Der kräftige Wind aus Süden, der die Citara mit geblähten Segeln rasch durchs Wasser pflügen ließ, sorgte jedoch nicht für Kühlung, sondern brachte stattdessen heiße, trockene Wüstenluft heran, die den Körper regelrecht ausdörrte.
    Da die Vorräte an Frischwasser bereits bedenklich dem Ende zugingen, waren alle froh, als der Ausguck schließlich eine Stadt mit großem Hafen meldete, in der man neuen Reiseproviant an Bord nehmen konnte. Der Kapitän ließ sofort Kurs darauf nehmen, wies aber im gleichen Atemzug den Matrosen im Ausguck an, unverzüglich seinen Posten zu verlassen und aufs Hauptdeck hinunterzuklettern. Rai wunderte sich ein wenig über diesen Befehl. Denn gerade in unbekannten Küstengewässern und kurz vor dem Einlaufen in einen fremden Hafen war es doch durchaus notwendig, den Mastkorb bemannt zu lassen, um rechtzeitig vor möglichen Gefahren gewarnt zu werden. Doch der Kapitän schien zu wissen, was er tat, und Rais Aufmerksamkeit wurde bereits so sehr von den exotisch anmutenden Bauwerken der unbekannten Stadt eingenommen, dass er vergaß, sich über etwas anderes Gedanken zu machen. Solch kühne Konstruktionen hatte der junge Tileter noch nie zuvor gesehen. Die Häuser schienen beinahe in den Himmel zu wachsen. Es handelte sich um sandfarbene, turmhohe Bauten, deren Fenster allesamt mehr als fünf Schritt über dem Boden lagen und klein wie Schießscharten waren. Jedes Gebäude dieser Stadt erweckte den Eindruck, als könne es mühelos einer längeren Belagerung standhalten. Manche der Turmhäuser verfügten nicht über ein normales, ziegelgedecktes Dach, sondern waren an ihrer Spitze zinnenbewehrt, so dass sich der festungsartige Eindruck, den die Stadt vermittelte, noch verstärkte. Die höchsten dieser Bauwerke ragten unbegreifliche fünfzig Schritt in die Höhe und maßen an ihrer Basis wohl gute hundert mal hundert Schritt. Oftmals waren sogar noch weitere, kleinere Türme darauf gesetzt worden. In der Seitenwand dieser Aufbauten direkt unterhalb des Daches gähnte meist ein großes Loch.
    Rai konnte sich zunächst nicht erklären, wofür diese Öffnungen gut sein mochten, waren sie doch für ein Fenster oder einen normalen Eingang viel zu groß und zudem unverschlossen. Er kniff seine Augen zusammen und versuchte durch eine der weiten Öffnungen ins Innere eines solchen Turmes zu spähen. Dort war es sehr dunkel, aber je weiter sie sich dem Hafen näherten, umso mehr Details ließen sich erkennen. Irgendetwas regte sich dort, etwas Schwarzes, Unförmiges und sehr Großes. Rai lief es kalt den Rücken hinunter. Da hörte er Selira neben sich flüstern: »Ich weiß jetzt, was der Kapitän gemeint hat.« Sie starrte gebannt in den Himmel über der Stadt. Rai folgte ihrem Blick – und traute seinen Augen kaum. Ein Schatten kam in atemberaubendem Tempo von schräg oben durch die Luft auf ihr Schiff zugeschossen. Mit jedem Herzschlag wurde das schwarze Etwas größer, bis es so nah war, dass eine Kollision unausweichlich erschien. Der Schatten gab ein schrilles Pfeifen von sich, das in ihren Ohren vibrierte, bis es schmerzte. Rai und Selira warfen sich gleichzeitig flach auf die Planken des Seglers. Jeden Moment würde der Aufprall erfolgen.
    Doch kurz bevor es in die Seitenaufbauten der Citara einschlug, drehte das Wesen mühelos durch einen eleganten Schwenk seiner ledernen

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