Götterschild
niemanden so sehr zu stören schien wie Rai. Mit so vielen Menschen in einem Raum zu schlafen, war der junge Tileter nicht gewöhnt und dass Selira zwangsläufig in seiner Nähe ruhte, trug auch nicht gerade zu seiner Entspannung bei.
Rai betrachtete vorsichtig die streitlustige Xelitin, die im Gegensatz zu ihm tief und fest schlummerte. Er musste feststellen, dass Selira schlafend beinahe noch schöner war als sonst, aber vielleicht auch nur, weil die Anmut ihres Gesichts in wachem Zustand meistens von Zorneswolken verdeckt wurde. Jetzt sah sie dagegen vollkommen friedlich aus, sodass er sich kaum vorstellen konnte, wie er ständig mit einem derart betörenden Geschöpf aneinander geraten konnte. Es war wirklich merkwürdig, warum es ihm nicht gelang, ihr begreiflich zu machen, wie viel sie ihm bedeutete. Immerhin hatte er sich nun für sie sogar zum Sklaven machen lassen. Doch anstatt diese heroische Tat als eindeutigen Liebesbeweis für sich sprechen zu lassen, hatte es Rai mit ein paar unbedachten Worten geschafft, die große Geste zu einer kleinlichen Trotzreaktion herabzureden.
Er seufzte leise und zog die muffige Wolldecke bis unters Kinn. In dieser Wüstenstadt konnte es nachts erstaunlich kalt werden. Er musste an Meatril und Targ denken. Ob die beiden schon nach ihm suchten? Was würde Belena wohl jetzt von ihm halten? Schließlich wäre es durchaus möglich, dass sie sein plötzliches Verschwinden als Wortbruch ihr gegenüber einstufte. Allerdings hatte ja gerade sie ihn dazu ermutigt, für Selira »das Richtige« zu tun, wobei er sich nicht wirklich sicher war, ob Belena dafür auch eine Verzögerung ihrer Ankunft in Seewaith hinnehmen würde. Vielleicht drängte sie Meatril und Targ dazu, ohne Rai und Selira abzureisen. Dann musste er zusehen, wie er – mit oder ohne die Xelitin – aus Etecrar verschwinden konnte, sobald er diesen vermaledeiten Sklavenring wieder los war. Er verfügte allerdings nicht über die geringsten Geldmittel, was es umso schwieriger werden ließ, sich nach seiner Zeit als »Bashra« durchzuschlagen. Und bei allen Göttern, schwor er sich im Stillen, ich habe wahrlich nicht vor, wieder betteln zu gehen!
Über diesen schwerwiegenden Fragen grübelnd merkte Rai gar nicht, wie sich das erste Dämmerlicht zwischen den lückenhaft zusammengefügten Holzbrettern des Verschlags hindurchstahl. Gerade als seine Augenlider unter der Last der durchwachten Nacht niederzusinken begannen, wurde die Tür zu ihrer Behausung aufgerissen und Sal Oibrin verkündete das Ende ihrer Nachtruhe. Ohne zu sprechen, verließen die Sklaven den Verschlag und machten sich am Wasserbecken, aus dem auch die Schweine getrunken hatten, ein wenig frisch. Dann nahmen sie zusammen und unter der Aufsicht des Leibherrn Oibrin ein hastiges, aber wohlschmeckendes Frühstück aus diversen Früchten, Speck und Fladenbrot ein.
Nach dieser kleinen Stärkung erteilte Oibrin den Befehl, die Schweine zu beladen. Wie es schien, wollte der Kersilone bereits heute am frühen Vormittag die Stadt verlassen. Damit blieb Rai tatsächlich keinerlei Gelegenheit mehr, seinen Freunden auf dem Schiff eine Nachricht zukommen zu lassen, was seine Bedenken weiter wachsen ließ. Aber nun gab es kein Zurück mehr, dafür sorgte Sal Oibrin, der alle Vorbereitungen für den Zug durch die Wüste argwöhnisch überwachte. Auf einem der umliegenden Hausdächer hockte seine geflügelte Wölfin Resa, die nur darauf zu warten schien, dass einer der Sklaven sich davonstahl und ihr damit die Freude einer kleinen Verfolgungsjagd bereitete.
Anscheinend gab es außer Sal selbst keine weiteren Bewaffneten in seinen Diensten, die die Karawane beschützen würden. Das konnte entweder bedeuten, dass Sal Oibrin ein wirklich außergewöhnlich fähiger Schwertkämpfer war, der es mit einem ganzen Trupp Räuber aufnehmen konnte, oder aber, dass die Reise zwischen den Städten Etecrars doch nicht ganz so gefährlich war, wie Oibrin behauptet hatte. Vielleicht war er ja wirklich nur an ein paar billigen Hilfskräften interessiert gewesen und hatte deshalb die Bedrohungen der Wüste etwas dramatisiert, überlegte Rai.
Die Sonne hatte schon spürbar an Kraft gewonnen, als die Karawane bereit zum Aufbruch war. Rai und Selira erhielten von Sal Oibrin noch das zu einem merkwürdigen Dreieck zusammengeknotete Tuch, welches auch allen anderen im Zug als Kopfbedeckung diente. Der Kersilone schärfte ihnen ein, diesen Hitzeschutz im Interesse ihres eigenen Überlebens
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