Götterschild
lange Gesichter überdeutlich machten, dass ihnen der Ernst der Lage bislang nicht oder zumindest nicht in ganzer Tragweite bewusst gewesen war.
»Das ist jetzt aber kein Grund, Trübsal zu blasen«, rief er ihnen zu und brachte es dabei tatsächlich fertig, unbeschwert zu Hingen. »Noch ist nichts verloren. Ihr wisst doch, dass ich ein paar gute Freunde bei der Torwache von Tanduco habe.
Diese ›Freundschaft‹ kostet mich zwar immer einen guten Teil meines Gewinns, aber gerade in solchen Zeiten könnte sich diese Investition auszahlen.« Er ging zum vordersten Packschwein, zog aus einem unauffälligen Bündel Rais Schwert heraus und warf es ihm zu.
»Hier trennen sich unsere Wege, es sei denn, ihr habt es euch anders überlegt und wollt mit uns die tanduceser Gastfreundschaft auf die Probe stellen.« Er lachte.
Nachdem Rai seine Waffe aufgefangen hatte, fiel ihm nichts mehr ein, was er hätte sagen können. Er war von Oibrins plötzlicher Offenheit ziemlich überrumpelt und auch ein wenig betroffen über die schwierige Situation, in der sich der Kersilone und seine Bediensteten befanden.
»Leb wohl, Sal Oibrin«, bedankte sich Selira an Rais Stelle. »Wir sind Euch für Eure Hilfe sehr dankbar.«
»Nichts zu danken«, erwiderte Oibrin, während er sich wieder auf sein Pferd schwang. »Ihr habt die Schuld durch eure Dienste als meine Bashras beglichen. Chariuk, gib ihnen noch ein paar Vorräte für ihren Weg nach Nalesch mit. Gehabt euch wohl.« Er schnalzte mit der Zunge und sein Pferd trabte los.
Chariuk steckte einen Schlauch mit Trinkwasser sowie ein kleines Bündel getrockneten Allerleis in einen Sack, kam zu ihnen herüber und hängte Rai den Vorratsbeutel an einer daran befestigten Schnur einfach über die Schulter. »Nun verlässt du uns sogar noch früher als gedacht«, bemerkte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nur schade, dass ich dich jetzt nicht mehr kämpfen sehe. Wenn deine Geschichte stimmt und dich Eringar Warrud wirklich an seiner Seite fechten ließ, dann müsstest du eigentlich ein außergewöhnlicher Schwertkämpfer sein.« Er grinste breit. »Aber solange du das nicht bewiesen hast, werde ich dich eben weiter für einen Maulhelden halten.« Er hob zum Abschied die Hand und ging zu seinem Packschwein zurück.
Rai war zunächst unschlüssig, wie er reagieren sollte. Schließlich hätte man diese Bemerkung auch als Beleidigung auffassen können, doch er vermutete, dass dies vielleicht nur Chariuks bärbeißige Art war, Lebwohl zu sagen. Also winkte Rai zurück und sah dann zu, wie die Karawane langsam im Staub verschwand, den die Sandschweine aufwirbelten. Als wolle auch Resa sich noch verabschieden, schwebte die Säbelschwinge zu ihnen herab und glitt zweimal knapp über ihre Köpfe hinweg. Dann gewann sie durch einige kräftige Schläge ihrer ledernen Flughäute wieder rasch an Höhe und ließ Selira und Rai allein zurück in diesem Niemandsland zwischen Wüste und Meer.
Ohne ein Wort marschierte Selira los, wobei sie sich nicht darum zu kümmern schien, ob Rai ihr folgte oder nicht. Der Tileter blickte ihr traurig hinterher, schob dann sein Schwert in den Gürtel und schlug ebenfalls den Küstenpfad ein. Nach einer halben Stunde erreichten sie den schütteren Forst, den sie schon aus der Ferne gesehen hatten. Dieses Gehölz bestand vor allem aus mannshohem, dornigem Gestrüpp, aus dem in größeren Abständen dünne Nadelbäume herausragten. Glücklicherweise war der Trampelpfad frei von Dornenranken und so ließ es sich hier im lückenhaften Schatten des Waldes mit einer frischen Meeresbrise um die Nase ganz angenehm wandern. Allerdings drückte die angespannte Stimmung zwischen ihnen beiden doch sehr auf Rais Gemüt, aber er wollte nicht schon wieder irgendein belangloses Gespräch mit Selira beginnen, an dessen Ende er sie ohnehin nur erzürnen würde. Also schwieg er beharrlich, obwohl es ihm nicht gerade leicht fiel.
Für die Nacht machten sie halt auf einer kleinen Lichtung, die von einem Halbkreis aus stacheligem Gebüsch umstanden war. Hungrig schlangen sie ein paar der mitgeführten Vorräte hinunter. Danach einigten sie sich mit ein paar knappen Sätzen darauf, dass Rai die erste Hälfte der Nacht wachen sollte, während Selira schlief, und sie sich dann gegen Mitternacht abwechseln würden. Nach einem ganzen Tag auf den Beinen erwies es sich zwar als große Herausforderung, seinen entkräfteten Körper am Schlafen zu hindern, aber die Vorstellung, von
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