Götterschild
informieren, wo wir zu finden sind, aber ich bin mir sicher, dass unsere Stammesgemeinschaft und die Weite der Steppe uns genügend Schutz bieten, solange wir hier bleiben. Trotzdem müssen wir einen Weg suchen, um unauffällig herauszufinden, was in Seewaith wirklich vor sich geht.«
»Und wie hast du dir das vorgestellt?«, wollte Daia wissen. »Wenn wir nicht selbst dorthin gehen, muss es jemand anderes für uns tun. Wen willst du mit solch einer gefährlichen Aufgabe betrauen?«
»Niemanden speziell«, erwiderte Tarana, »aber die Männer des Stammes werden bald wieder einen Teil der Batras in Richtung Fendland treiben, um sie dort zu verkaufen. Ich werde sie einfach bitten, in Seewaith ganz besonders aufmerksam zu sein und sich ein wenig für uns umzuhören. Sie werden keine größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, schließlich kommen sie jedes Jahr in die Stadt. Und wenn sie bei ihren Geschäften ein wenig mit den Leuten plaudern, können sie eine Menge herausfinden.«
»Aber wäre es nicht denkbar, dass deine Stammesbrüder von den Priestern verhört oder gar festgesetzt werden?«, fragte Daia immer noch skeptisch. »Immerhin wissen die Priester ja dann wahrscheinlich von dem Händler, dass wir bei den Istanoit Zuflucht gefunden haben.«
Tarana lachte. »Wenn sie das tun, dann haben sie alle Istanoit gegen sich. Es ziehen zwar viele verschiedene Stämme durch die Istaebene, aber wir verstehen uns doch als ein Volk. Und wer einem unseres Volkes ein Leid zufügt, der fügt es allen zu.«
»Also gut«, seufzte Daia, »dann müssen wir wohl warten, bis deine Stammesbrüder uns Neuigkeiten bringen. Ich wäre ja lieber selbst nach Seewaith gegangen, aber …« Sie verstummte, doch Thalia konnte aus den wenigen Gedankenresten, die Daias Kopf entkamen, den Satz vervollständigen:, … den Kindern zuliebe bleibe ich hier.
Einerseits betrübte es Thalia natürlich, dass sich wegen ihr und Arlion das Wiedersehen mit diesem Meatril verzögern würde, aber andererseits hatte sie Daia auf diese Weise vor einer gefährlichen Reise bewahrt und Thalia musste so auch nicht auf den neben ihrem Bruder und ihrer Mutter wichtigsten Menschen in ihrem Leben verzichten. Also konnte sie im Grunde mit dem Ergebnis zufrieden sein, denn alles blieb erst einmal so, wie es war – genau so, wie Thalia es gern hatte.
BLUTLINIEN
B elena saß zusammengekauert in einer Ecke des feuchten Kellerraumes und wirkte so leblos wie ein Bündel alter Lumpen, das jemand dort hingeworfen und vergessen hatte. Rai beobachtete sie hin und wieder und konnte sich immer noch nicht entscheiden, ob er wütend auf sie sein oder einfach nur Mitleid mit ihr haben sollte. Er konnte, nein er wollte ihr einfach nicht verzeihen, dass sie sie alle in diese missliche Lage gebracht hatte, aus welchen Gründen auch immer. Doch Belena litt so offensichtliche Seelenqualen, dass sie auch kein wirklich gutes Ziel für seinen Zorn abgab. Rai hatte sich irgendwann beim Zählen der Tage vertan, die sie nun schon hier in der kleinen Kammer unter dem Ratsgebäude eingesperrt waren, es mussten aber schon mehr als fünfzig sein. Während dieser endlosen Zeit des Wartens und der Langeweile, die sich alle anderen mit kleinen Spielchen, Unterhaltungen oder auch Streitereien zu verkürzen versuchten, hatte sich Belena nur dann aus ihrer Ecke bewegt, wenn es Essen gab oder sie den Abort benutzen musste. Es schien fast so, als fürchte sie, dass sich der Zorn ihrer Mitgefangenen über ihren Verrat entladen könnte, wenn sie irgendwelche Aufmerksamkeit erregte. Möglicherweise plagte sie aber auch der Gedanke an ihre Tochter, vor allem dass sie ein anderes Kind für das ihre gehalten und sich deshalb von Megas hatte täuschen lassen.
Wahrscheinlich wurde sie von einer Kombination aus all diesen Dingen gepeinigt, überlegte Rai, jedenfalls war sie nicht in der Verfassung, um sich seine Vorwürfe anzuhören.
Das machte ihn allerdings nur umso wütender, denn ihm fehlte eine geeignete Möglichkeit, sich abzureagieren. Ein wenig halfen die täglichen Kampfübungen mit Meatril, die sie zur körperlichen Ertüchtigung immer nach Sonnenaufgang durchführten. Im Grunde war Rai jedes Mittel recht, um die endlosen Tage ihrer Haft zu verkürzen, denn Langeweile konnte eine schlimme Folter sein. Obwohl er natürlich all seine Mitgefangenen gut leiden konnte, stellte es eine wahre Tortur dar, jeden Augenblick in solch drangvoller Enge mit den anderen zu verbringen. Das führte
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