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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Und lasst es mich wissen, wenn Euch noch etwas einfällt, was uns helfen kann.« Er versuchte aufzustehen, brauchte aber drei Anläufe, bis er auf die Beine kam, schwankend, weil ihm beinahe die Kraft fehlte, sich aufrecht zu halten. Wieder wogte Müdigkeit wie schwarzer Schlamm in ihm hoch und hätte ihn beinahe in einen bodenlosen Abgrund gerissen. Gordons Blick drückte unverhohlen Sorge aus, aber er trat nur wortlos beiseite, zog den Riegel zurück und hielt Andrej die Tür auf – zweifellos eine spöttische Geste, aber Andrej war ihm in diesem Moment zutiefst dankbar dafür. Er wusste nicht, ob er selbst die Kraft dazu noch aufgebracht hätte. Das Schiff schwankte immer heftiger unter seinen Füßen.
Er war so … müde.
»Es ist gut?«, ächzte Gordon, kaum dass er die Tür
wieder hinter ihm geschlossen hatte. »Seid Ihr verrückt,
Andrej? Ihr glaubt diesem Kerl doch nicht etwa?«
»Colonel Rodriguez ist ein Freund von Euch, habe ich
recht?«, fragte Andrej, statt auf Gordons Worte
einzugehen. »Ich meine: ein wirklich guter Freund.«
»Und wenn?«
»Dann gilt dasselbe, was Ihr vorhin über mich gesagt
habt«, antwortete Andrej. »Der Junge sagt die
Wahrheit.«
»Und woher wollt Ihr das wissen?«
»Sagen wir so«, antwortete Andrej. »Ich weiß einfach,
wenn man mich belügt. Bresto sagt die Wahrheit … oder
glaubt es wenigstens.«
»Will sagen?«
»Zuallererst, dass Colonel Rodriguez klug gehandelt
hat, Gonzales’ Witwe hierher…« Er brach mitten im Satz
ab, runzelte die Stirn und versuchte den Gedanken
festzuhalten, der ihm gerade durch den Kopf geschossen
war; ein guter Gedanke, dessen war er sich sicher, aber
er war fort, verschwunden in dem Strudel aus Müdigkeit,
der sich immer schneller hinter seiner Stirn drehte.
»Ja?«, fragte Gordon.
Andrej blinzelte. »Wie?«
»Esmeralda«, sagte Gordon. »Ihr wolltet irgendetwas
über Esmeralda sagen.«
»Nur dass es klug von Rodriguez war, sie
hierherzuschicken«, murmelte Andrej. Er konnte kaum
die Augen offen halten. »Wie es aussieht, ist sie die
Einzige, die noch bezeugen kann, was wirklich passiert
ist.«
»Das … stimmt«, murmelte Gordon. Er sah ehrlich
überrascht aus. Anscheinend war ihm dieser Gedanke
noch gar nicht gekommen.
»Dann gebt gut auf sie acht, Capitan«, sagte Andrej.
Eigentlich nuschelte er es. »Und jetzt habe ich eine große
Bitte. Capitan. Ich brauche …«
»Eine Hängematte?«, vermutete Gordon richtig.

14

W
enn es Gott wirklich gab, dann musste er ihn hassen.
    Wieder erwachte Andrej nach viel zu kurzer Zeit (sein Gefühl sagte ihm, dass es gute vier Stunden gewesen sein mussten, aber die bleierne Schwere in seinen Glieder gaukelte ihm vor, dass es allerhöchsten vier Minuten gewesen waren) und mit einem widerwärtigen Geschmack im Mund, rasendem Puls und den letzten Bildern eines ebenso sinnlosen wie Furcht einflößenden Albtraums im Kopf. Die Hängematte, in der er lag, schwang so wild hin und her, als wäre das Schiff inzwischen nicht nur ausgelaufen, sondern auch in den schlimmsten aller nur vorstellbaren Stürme geraten. Und als wäre all das noch nicht schlimm genug, füllte jeder einzelne Atemzug seine Nase mit einem Gestank, der sofort auf seinen Magen schlug und Brechreiz auslöste. Andrej öffnete die Augen, blinzelte in ein unerträglich gleißend helles Licht und presste die Lider erschrocken wieder zusammen. Bevor er es noch einmal versuchte, drehte er den Kopf und hob einen bleischweren Arm, um seine Augen zu beschatten, und aus seinem Verdacht wurde Gewissheit.
Er befand sich nicht im Herzen eines Wirbelsturms, sondern noch immer unter Deck der Ninja . Rings um ihn herum herrschte zum großen Teil wohltuendes Halbdunkel, aber direkt über ihm klaffte ein haarfeiner Spalt in den nicht ganz sauber verlegten Decksplanken, durch die ein kaum fingerbreiter Sonnenstrahl hereindrang, der selbstverständlich genau auf seine Augen traf.
Ja, Gott musste ihn hassen … oder er hatte einen ausgesprochen bizarren Sinn für Humor.
Andrej verscheuchte den albernen Gedanken und rollte sich aus seiner schwankenden Liege.
Der Sprung auf den schmierigen Boden hinab fiel ihm leichter, als er befürchtet hatte, und er war angenehm überrascht, als mit der leichten Erschütterung, mit der seine Füße den Boden berührten, auch die bleierne Schwere von ihm abfiel; wie ein aus Metall gewobener Mantel, in dem er aufgewacht war, ohne es im ersten Moment zu merken. Und im gleichen Moment zerrissen auch die Spinnweben in seinem Kopf, und

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