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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sein Kopf und seine Sinne arbeiteten wieder mit der gewohnten Schärfe. Unglücklicherweise nahm er jetzt aber auch den erbärmlichen Gestank, der hier drinnen herrschte, noch deutlicher wahr. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass er tatsächlich allein war. Gordons Mannschaft war nicht allzu weit – er konnte das Trappeln ihrer Schritte und ihre hin und her schallenden Rufe auf dem Deck über sich hören und ihre Anwesenheit hier unten vor noch nicht allzu langer Zeit riechen. Vor sehr vielen Jahren (bevor er das erste Mal einen Fuß auf die Planken eines Schiffes gesetzt hatte) hatte er einmal wie selbstverständlich angenommen, dass Seeleute ganz besonders sauber sein mussten, weil sie so viel Zeit auf dem Wasser verbrachten. Hätte es noch eines Beweises dafür bedurft, wie naiv diese Vorstellung gewesen war, so wäre es die Ninja und ihre Besatzung gewesen. Das Schiff stank wie eine schwimmende Kloake – nach Salzwasser und Rauch, nach menschlichen Ausscheidungen und Fäulnis und Moder.
Und Blut.
Kein sehr frisches Blut, aber auch noch nicht sehr alt, und ganz eindeutig das Blut eines Menschen. Andrej versuchte einen Moment lang, die Richtung herauszufinden, aus der dieser verlockend süße Duft kam, und erschrak zuerst über sein Empfinden und dann noch einmal und sehr viel mehr, als ihm klar wurde, dass es seine Hände waren, die nach Blut rochen.
Jetzt erst, als er die Hände in einen Strahl des verhassten Sonnenlichts hielt, fielen ihm die schmalen, braunroten Ränder unter seinen Fingernägeln auf. Jeder andere hätte sie für Schmutz gehalten, und auch ihm selbst wäre nichts lieber gewesen, als daran zu glauben. Unglücklicherweise wusste er es besser.
Es war menschliches Blut, es war nicht sein Blut, und es war auch nicht das des Schwertkämpfers, den er in der zurückliegenden Nacht getötet hatte. Aber wessen dann? Andrej kramte angestrengt in seinem Gedächtnis, aber alles, worauf er sich besinnen konnte, waren die unzusammenhängenden Bruchstücke eines Traumes, der auch im Ganzen vermutlich keinen Sinn ergeben hätte. Andrej war beunruhigt, schon, weil er nicht verstand, was geschah. Aber hatte er nicht doch eine Ahnung? Vielleicht hatte das nagende Gefühl tief in ihm, von dem er immer noch nicht bereit war, zuzugeben, dass es sich um nichts anderes als schiere Angst handelte, ja einen Grund.
Er verscheuchte auch diesen Gedanken, ließ die Arme wieder sinken und ballte die Hände zu Fäusten, wie um das Blut unter seinen Fingernägeln vor den Blicken eines unsichtbaren Beobachters zu verbergen.
»Und ich dachte schon, Ihr erwacht überhaupt nicht mehr.«
Andrej, der zwar Gordons Stimme sofort erkannt hatte, zugleich aber immer noch der Meinung war, gut noch weitere fünfzig oder auch hundert Stunden Schlaf gebrauchen zu können, drehte sich bewusst langsam um und musste sich zusammenreißen, um die Hände nicht hinter dem Rücken zu verbergen.
Obwohl er sicher war, keinerlei verräterische Regung gezeigt zu haben, schien Gordon etwas zu ahnen. Sein Blick heftete sich für einen Moment auf Andrejs Hände und kehrte dann in sein Gesicht zurück. »Ihr seht besser aus, Andrej, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet«, sagte er. »Euer neuer Freund, der Lieutenant, wollte Euch schon mindestens fünfmal wecken, aber ich konnte ihn daran hindern. Ich war der Meinung, dass Ihr ein wenig Ruhe braucht, nach dem anstrengenden Kampf letzte Nacht.«
Andrej versuchte vergeblich herauszuhören, ob Spott in Gordons Stimme war. Vermutlich nicht. »Ihr hättet auf Bresto hören und mich wecken sollen«, sagte er. »Die Verhandlung …«
»… wurde abgesagt«, fiel ihm Gordon mit einem Kopfschütteln ins Wort. »De Castello fürchtet um die Sicherheit des Gerichts – und seine eigene – solange Ihr noch auf freiem Fuß seid. Er ist ein klügerer Mann, als ich dachte.«
»Soll das heißen, Abu Dun und Rodriguez bleiben weiter im Kerker?«
»Bis eine Stunde vor Sonnenuntergang, ja«, antwortete Gordon.»Das ist die gute Nachricht.«
»Und die schlechte?« Vielleicht war es die, dass er sich mit jeder Sekunde besser fühlte. Kraft durchströmte ihn, von der er einfach wusste, dass er sie nicht haben sollte. Gestohlene Kraft.
Gordon klappte den Mund auf, um zu antworten, da schien ihm etwas einzufallen. Er machte ein halb überraschtes, halb zorniges Gesicht und trat mit zwei schnellen Schritten an Andrej vorbei. »Wo ist dieser verdammte Kerl jetzt schon wieder? Ich hatte ihm befohlen, sich nicht von der Stelle zu

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