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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gleich darauf schwerfällig in das dahinterliegende Wellental senkte. Für die nächsten Sekunden war Andrej – genau wie jeder andere an Deck – voll und ganz damit beschäftigt, sich auf den Beinen zu halten (ein Vorhaben, das längst nicht allen gelang), und als sich das bockende Deck wieder beruhigte, war die Flamme des Jähzorns bereits wieder erloschen. Er beließ es bei einem wütenden Blick ins Gesicht des Soldaten und versuchte, den Gedanken, der ihm eben so einleuchtend erschienen war, wieder aufzunehmen.
Wenigstens versuchte er es.
Es ging nicht. Die Antwort auf alle seine Fragen lag noch immer zum Greifen nah vor ihm, aber als er die Hand danach ausstrecken wollte, entschlüpfte sie ihm wie ein glitschiger Fisch. Wo alle Antworten auf alle Fragen gewesen waren, war jetzt nur noch Leere.
Noch einmal verspürte Andrej ein plötzliches Aufflammen womöglich noch heißeren Jähzorns – der diesmal aber ihm selbst und der mangelnden Disziplin seiner Gedanken galt – und kämpfte ihn ebenso nieder wie gerade.
Es half nichts. Je angestrengter er versuchte, den Moment der Erkenntnis zurückzuzwingen, desto weniger erinnerte er sich.
Vielleicht hatte er sich ja auch alles nur eingebildet, und der Vater des Gedankens war schlicht und einfach der Wunsch gewesen. Zornig drehte er sich um und ging zu Abu Dun und dem jungen Lieutenant zurück.
In Abu Duns Augen lag unübersehbar eine Frage (die Andrej geflissentlich ignorierte), und Bresto tat immer noch alles in seiner Macht Stehende, um sich mithilfe seiner vermeintlichen Englischkenntnisse zum Narren zu machen; Abu Duns Gesichtsausdruck nach zu urteilen durchaus mit Erfolg.
»Ah, Señor … Mister Delãny«, sprudelte er los, kaum dass Andrej sich in Reichweite seines semantischen Angriffs befand. »Es wird allmählich Zeit. Colonel Rodriguez … ich meine: Captain Rogers hat mir aufgetragen, Euch und Eurem Freund ein angemessenes Quartier zuzuweisen, und da ich noch andere Pflichten an Bord habe, wäre es mir recht …«
»Tut uns und dem Rest dieses Schiffes einen Gefallen und redet in Eurer Muttersprache, Lieutenant«, unterbrach ihn Abu Dun. »Wenigstens so lange, bis Ihr des Englischen halbwegs mächtig seid.«
»Es ist eine barbarische Sprache!«, protestierte Bresto – nicht nur zu Andrejs Erleichterung auf Spanisch. »Ja, und wenn man sie so spricht wie du, vermutlich sogar der Grund für den Krieg«, seufzte Abu Dun – vorsichtshalber allerdings wieder auf Altpersisch. Bresto sah ihn dennoch so vorwurfsvoll an, als hätte er die Worte verstanden, und begann dann, unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten. »Wie dem auch sei«, fuhr er mit einem Räuspern (und auf Spanisch) fort, »Colonel Ro… CaptainRogers hat mir aufgetragen, Euch und Eurem Freund die Kapitänskajüte zuzuweisen. Nach allem, was Ihr für uns getan habt, ist das das Mindeste.« »Für uns?«
Bresto sah ganz so aus, als würde er vor Verlegenheit am liebsten in den Decksplanken versinken. Für einen Moment wusste er nicht, wohin mit seinem Blick. »Für … die britische Krone, meine ich natürlich«, stammelte er schließlich.
»Natürlich«, sagte Abu Dun.
Andrej warf ihm einen warnenden Blick zu und beeilte sich, Brestos Worte mit einem Nicken zu belohnen. Er konnte Abu Duns Spott gut verstehen und musste sich beherrschen, nicht selbst die eine oder andere entsprechende Bemerkung beizusteuern, aber er spürte auch die wachsende Nervosität des Jungen und empfand, fast zu seiner eigenen Überraschung, tatsächlich Mitleid mit ihm. Für Bresto war in der vergangenen Nacht mehr als eine Welt zusammengebrochen. Das Leben, das er bisher geführt hatte, war zu Ende, unwiderruflich. Und er wusste nicht, ob Rogers ihm einen Gefallen getan hatte, als er ihn nicht nur hier an Bord zurückließ, sondern ihm – wenn auch nicht offiziell, so doch de facto – das Kommando über die EL CID übertrug. Andrej war sicher, dass der junge Lieutenant dieser Aufgabe intellektuell gewachsen war, wenn man ihm ein wenig Zeit ließ, aber er war auch genauso sicher, dass er in seiner momentanen Verfassung kaum in der Lage war, den Weg in sein eigenes Quartier zu finden. Und dazu kam die Mannschaft. Seefahrer waren nicht umsonst als raues Völkchen verschrien, und für diese ganz besondere Mannschaft galt das vermutlich erst recht. Außerdem blieb Bresto für die meisten von ihnen ein Spanier, und damit ihr Feind.
Und für den einen oder anderen auch nichts anderes als Beute.
Er verscheuchte den

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