Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
für ein so gewaltiges Schiff. Drake hatte recht, dachte er: Dieses Schiff war ein Monstrum, das nirgendwohin gehörte, und schon gar nicht auf die See. Andrej hasste die Seefahrt im Allgemeinen und Schiffe im Besonderen aus tiefstem Herzen, was aber nichts daran änderte, dass er eine Menge von Schiffen verstand. Die EL CID war so elegant wie ein schwimmender Ziegelstein und durch ihre pure Größe vermutlich ebenso schwer zu manövrieren, und sie verlangte vor allem nach einer gewaltigen Mannschaft. Mindestens doppelt so viele Männer, wie sich momentan an Bord befanden, und vor allem Männer, die dieses Schiff kannten und ihre erste flüchtige Einweisung nicht mitten in einem Gefecht bekommen hatten.
»Findest du allmählich Geschmack an unserem neuen Zuhause?«, fragte Abu Dun. Es waren die ersten Worte, die er seit gut zwanzig Minuten sprach, und Andrej war sicher, dass er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen.
Trotzdem antwortete er. »Vielleicht stimmt es, was du sagtest …«
»Wie fast immer.«
»… und Captain Rogers ist der Klügere von uns. Wir hätten seine Einladung annehmen und eine gemütliche Kabine an Bord der KingGeorge beziehen sollen.« »Weil du inzwischen zu dem Schluss gekommen bist, dass sich Loki dort versteckt und nicht hier?«, erkundigte sich Abu Dun.
»Es ist, wie Drake gesagt hat«, fuhr Andrej ungerührt fort. »Die Spanier werden ausschwärmen wie die Fliegen, um sich für den Angriff auf Cádiz zu rächen. Wenn sie die Spur dieses Walfisches aufnehmen, dann haben wir keine Chance, ihnen zu entkommen.«
»Sie werden uns nicht verfolgen«, behauptete Abu Dun. »Und was bringt dich zu dieser Überzeugung?« Abu Dun antwortete nicht gleich, sondern sah sich einen Moment lang suchend um und legte schließlich den Kopf in den Nacken, um genau wie Andrej zuvor aus zusammengekniffenen Augen in die Rahen hinaufzublinzeln. »Zwei«, sagte er schließlich. »Allein dort oben. Vielleicht sogar drei. Und mindestens einer von denen, die gerade an uns vorbeigegangen sind, sind auch wie wir. Wenn du nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wärst, nach jemandem zu suchen, der nicht da ist, dann hättest du es wohl auch gemerkt.«
    Abu Duns Spott prallte genauso wirkungslos an Andrej ab wie die eigentlich zwingende Logik seiner Worte. Abu Dun mochte von seinem Standpunkt aus recht haben, aber er dachte wie ein Mensch und tat damit vermutlich genau das, was Loki von ihm erwartete. Er beging menschliche Irrtümer. Vielleicht hatte er einfach zu lange unter diesen dummen Sterblichen gelebt. Ihm würde dieser Fehler gewiss nicht unterlaufen.
»Nichts davon ergibt Sinn, wenn er nicht an Bord ist«, beharrte er, auch jetzt wieder in ebenso bockigem wie kindischem Tonfall. Abu Dun warf ihm einen fast mitleidigen Blick zu und sparte sich jede Antwort. Doch nach einem Augenblick und gerade leise genug, um Andrej im Zweifel zu lassen, für wen dieser Worte bestimmt waren, murmelte er: »Vielleicht nimmst du dich auch einfach nur zu wichtig, Hexenmeister.« Andrej schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag, und drehte Abu Dun demonstrativ den Rücken zu, um dem Aufbruch von Drakes Flotte zuzusehen; ein Anblick, der erhebend und niederschmetternd zugleich war. Zweifellos hatten Drake und seine Männer in der zurückliegenden Nacht einen gewaltigen Sieg davongetragen, auch wenn er einen bitteren Beigeschmack hatte (die Geschichte, dessen war sich Andrej sicher, würde ihn anders darstellen), aber der Preis, den die britische Kommandoflotte dafür bezahlt hatte, war höher, als sie bisher angenommen hatten. Die Intrepid brannte noch immer, allen Beteuerungen Drakes zum Trotz, und auch von den übrigen Schiffen war nicht eines ohne mehr oder weniger schwere Schäden davongekommen. Tatsächlich schienen die KingGeorge und ihr Schwesterschiff, die die EL CID eskortieren würden, noch die am wenigsten beschädigten Schiffe der kleinen Flotte zu sein, denn sie zeigten allenfalls ein durchlöchertes Segel oder eine gesplitterte Reling. Drake hatte von einem taktischen Rückzug gesprochen, aber die Wahrheit war wohl eher, dass sich die Flotte auf eine verzweifelte Flucht vorbereitete. Wenn es den Spaniern gelang, auch nur einen Teil ihrer Flotte wieder in Gefechtsbereitschaft zu versetzen und sie zu verfolgen (und Andrej zweifelte keine Sekunde daran, dass sie genau in diesem Moment mit fieberhafter Eile daran arbeiteten), würden sie Drake und seine Handvoll Schiffe schlachten. Vielleicht war

Weitere Kostenlose Bücher