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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Drakes Idee, die Flotte zu teilen und die EL CID in Sicherheit zu bringen, doch nicht so gut, überlegte er. Sie mochte ein Monstrum sein, eine Beleidigung für das Auge jedes Seefahrers und noch dazu langsam und schwer zu manövrieren, als schwimmende Festung war sie jedoch nicht zu verachten.
Andrej rief sich wieder in Erinnerung, was Abu Dun vorhin gesagt hatte: Hier wurde Geschichte geschrieben, und sie sollten sich hüten, die Feder in die Hand zu nehmen. Nichts von alledem ging sie etwas an.
Andrej drehte sich um und erstarrte.
De Castello stand auf dem Achterdeck und blickte aus kalten Augen auf ihn herab. Ihre Blicke trafen sich, und alles, was Andrej darin las, war Kälte. Und eine grimmige Entschlossenheit, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Andrej blinzelte, und die schwarzhaarige Gestalt war verschwunden. An ihrer Stelle stürmte Bresto die kurze Treppe vom Achterdeck herunter, und das in solcher Hast, dass er allein auf dem kurzen Stück zweimal fast über seine eigenen Füße gestolpert wäre.
Andrej blinzelte noch einmal, aber diesmal änderte sich an dem Anblick nichts. Bresto stolperte weiter auf sie zu und wirkte genauso hoffnungslos überfordert wie immer, aber auch wild entschlossen, sich der Aufgabe zu stellen, die Rogers und das Schicksal auf seine schmalen Schultern geladen hatten. War es möglich, dass …? Andrej lauschte mit all seiner Macht in Bresto hinein und stieß auf ein wahres Chaos aus Gefühlen und einander widersprechender Empfindungen und Gedanken, aber auch einen unerwartet wachen Geist, dem nicht die winzigste Kleinigkeit in seiner Umgebung entging. Er war überrascht. Dass Bresto kein Dummkopf war, hatte er gewusst, aber was er nun erblickte, war dennoch unerwartet. Wenn das Schicksal gnädig genug war, ihn lange genug leben zu lassen, stand diesem jungen Burschen eine große Zukunft bevor – oder ein früher Tod am Galgen.
Vor allem aber war er eines: ein ganz normaler, sterblicher Mensch.
Auch Abu Dun runzelte die Stirn, als er Brestos Aufzug sah. Er trug noch immer die blaue Jacke, die seinem ehemaligen Rang entsprach, hatte aber sämtliche Insignien und Rangabzeichen entfernt und sogar einen abgewetzten Dreispitz aufgetrieben, der vermutlich zu keiner Uniform der Welt gehörte. Das Ergebnis sah einigermaßen lächerlich aus.
Zu allem Überfluss sprach er nun im schlechtesten Englisch, das Andrej seit einem Menschenalter gehört hatte. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, Señ… Sirs«, stammelte er. »Ich zeige Euch Euer Quartiere.« Soweit verstand Andrej sein Gestammel.
Er überließ Abu Dun die undankbare Aufgabe, darauf zu antworten, und sah noch einmal konzentriert zum Achterdeck hoch; einen Moment später entschied er, dass ihm das, was Abu Dun vielleicht dazu zu sagen hatte, gleichgültig war, und eilte mit raschen Schritten die kurze Treppe hinauf.
Das Achterdeck war leer. Ein halbes Dutzend englischer Matrosen in schlecht sitzenden spanischen Uniformen war mit Reparaturarbeiten beschäftigt und beäugte ihn misstrauisch – keiner von ihnen war ein Vampyr –, aber von dem Unsterblichen war nichts zu sehen. Weilerauch niemals hier gewesen ist, flüsterte die Stimme der Vernunft in seinem Gedanken. Er begann Gespenster zur sehen, buchstäblich und nicht erst seit jetzt.
Doch selbst, wenn nun die Stimme seiner Vernunft sprach, war Andrej weder geneigt, auf sie zu hören, noch gab er sich der Illusion hin, dass die Wahrheit immer mit dem scheinbar Offensichtlichen übereinstimmte. Loki mochte tatsächlich nicht an Bord dieses Schiffes sein, aber warum hatte der Unsterbliche sich so viel Mühe gegeben, ihn an Bord dieses Schiffes zu locken, wenn nicht, um …
Und dann wusste er es.
Für einen ganz kurzen Moment, den Bruchteil der Zeit nur, die ein Gedanke braucht, um zu entstehen und wieder zu vergehen, lag die Antwort klar und überdeutlich vor ihm; eine Erklärung, die ebenso schrecklich wie simpel war.
    Einer der Soldaten ging dicht genug an ihm vorüber und war unachtsam (oder feindselig gestimmt) genug, um ihn anzurempeln, und der Stoß brachte ihn nicht nur aus dem Gleichgewicht, sondern ließ auch eine Welle heißer Wut in ihm aufsteigen, ein Jähzorn von nie gekanntem Ausmaß, der es ihm fast unmöglich machte, nicht herumzufahren und dem unverschämten Kerl auf der Stelle den Schädel einzuschlagen.
Was dem unglückseligen Burschen das Leben rettete, war der simple Umstand, dass die EL CID sich in diesem Moment träge über einen Wellenkamm hob und sich

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