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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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auch, wie die Spannung wieder aus ihm wich und der gefährliche Moment verging.
Andrej kam sich schäbig vor. Es gab nicht viel, was zwischen ihnen stand – vielleicht tatsächlich nichts als dieser eine Moment –, und sie hatten in all den Jahren niemals auch nur ein einziges Wort darüber verloren. Auch jetzt sagte Abu Dun nichts, obwohl er es gekonnt hätte. Er hätte sagen können, dass es nicht seine Schuld gewesen war, dass Meruhe ihn manipuliert und ihm ihren Willen aufgezwungen hatte, genauso, wie sie es auch mit Andrej getan hatte. Und es wäre wahr gewesen. Aber er verzichtete auf diese ebenso berechtigte wie kindische Verteidigung. Das Schlimme war nicht, was Andrej gesagt hatte. Es war der Umstand, dass er es gesagt hatte, und die Absicht, die dahinter stand. Er hatte Abu Dun verletzen wollen, aus dem einzigen Grund, weil er es konnte.
»Es tut mir leid«, murmelte Andrej.
Es war ehrlich gemeint, aber Abu Dun schwieg auch dazu, und eine unangenehme, lastende Stille begann sich in der kleinen Kabine auszubreiten. Andrej hörte irgendwann auf, auf das Verstreichen der Zeit zu achten – vielleicht waren Minuten vergangen, ebenso gut konnten es aber auch Stunden gewesen sein –, aber irgendwann bemerkte er, dass er neben Esmeralda auf der Bettkante Platz genommen hatte und einfach ihre Nähe genoss – wenn auch aus einem Grund, der ihn erschreckt hätte, wenn er sich gestattet hätte, darüber nachzudenken –, während Abu Dun nahezu ununterbrochen in der Kabine auf und ab lief und sein ruheloses Hin und Her nur in unregelmäßigen Abständen unterbrach, um einen der Kekse zu stibitzen, die auf dem Tisch lagen. Als der Teller leer war, schien sich seine Miene noch mehr zu verfinstern, und Andrej war nicht mehr sicher, ob das dumpfe Knurren, das er von Zeit zu Zeit zu hören glaubte, nur ein Zeichen von Abu Duns Unmut oder seinem Hunger war.
Plötzlich wurde er sich Esmeraldas regelmäßiger Atemzüge neben sich bewusst, der Wärme ihres Körpers und ihrer bloßen verlockenden Nähe, und er spürte, wie schnell sein Herz schlug und wie schwer sein Atem plötzlich ging. Es war nicht die Frau, deren Nähe ihn so erregte, obwohl sie sehr schön war. Es war ihr Schmerz, den er trinken wollte, das Leid, das ihr angetan worden war und noch immer angetan wurde. Ihre Qual stellte die wirkliche Versuchung dar, den Köder, den Loki ihm hingeworfen hatte und nach dem etwas in ihm schnappen wollte, ganz egal, ob er die Falle erkannte oder nicht. Erschrocken vor seinen eigenen Gedanken rutschte er ein Stück von ihr weg, spürte, wie wenig es nutzte, und stand auf, um ans andere Ende der Kabine zurückzuweichen. Es half nichts, und wie auch? Ihr Schmerz war wie eine Flamme, die ihm in dunkelster Nacht den Weg wies, und etwas in ihm fühlte sich davon angezogen wie eine Motte vom Licht. Und er würde ebenso verbrennen, wenn er diesem Licht zu nahe kam. Abu Dun hielt in seinem ruhelosen Auf und Ab inne und sah ihn nachdenklich an. Seine Hand lag noch immer auf dem Schwert. Und vielleicht sollte er es ziehen, dachte Andrej, und die Sache zu Ende bringen, solange er es noch konnte.
»Andrej?«, fragte Abu Dun ernst.
Statt zu antworten, schlug Andrej langsam seinen Mantel zurück, zog noch langsamer und mit der linken Hand Gunjir aus dem Gürtel und legte das Schwert betont vorsichtig auf den Tisch. Abu Dun zog die linke Augenbraue hoch und schwieg. Er machte keine Anstalten, nach dem Schwert zu greifen. Aber dann nickte er. Er hatte verstanden, was Andrej von ihm erwartete.
»Wie melodramatisch.«
Andrej hatte weder gehört, dass die Tür aufgegangen war, noch die Nähe des Unsterblichen gespürt, und er fühlte sie nicht einmal jetzt, als er sich umwandte und die schmale Gestalt im Rahmen der offen stehenden Tür sah. Loki war wieder in Brestos Aussehen geschlüpft, trug aber noch immer die Admiralsjacke, und an seinem Gürtel hing ein so gewaltiger Säbel, dass sich selbst Abu Duns monströse Waffe daneben wie ein besseres Messer ausnahm – ein fast alberner Anblick.
Loki/Bresto musste in seinem Gesicht gelesen haben (oder, was wahrscheinlicher war, in seinen Gedanken), denn das Schwert flackerte wie eine Spiegelung auf klarem Wasser, in das ein Stein geworfen worden war, und aus dem monströsen Säbel wurde ein kaum kleineres, aber vollkommen anders aussehendes Schwert, das eher der Götterklinge auf dem Tisch glich als einem britischen Offizierssäbel.
»Beeindruckend«, sagte Abu Dun spöttisch. »Jedenfalls, wenn

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