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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sagte
er.»Und ich glaube kaum, dass sie uns dort mit offenen
    Armen empfangen werden«, fügte Abu Dun hinzu. Er sah wieder aus dem Fenster. »Ich frage mich, wohin wir unterwegs sind.«
Andrej hatte nicht vergessen, was Drake, noch in der Verkleidung des Piratenkapitäns, am vergangenen Abend gesagt hatte. Er hatte auch die interessierten Blicke des vermeintlichen Lieutenants nicht vergessen. »Vielleicht in die Karibik?«, schlug er vor.
»Weil dort ein so großer Bedarf an schwarzen Arbeitskräften herrscht?«
Andrej blieb ernst. »Es ist eine vollkommen neue Welt, die praktisch niemandem gehört«, sagte er nachdenklich. »Sie wartet nur darauf, dass jemand die Hand ausstreckt und sie sich nimmt. Was hätte sie einem Schiff wie diesem entgegenzusetzen?«
»Nicht viel«, sagte Abu Dun, schüttelte aber auch zugleich heftig den Kopf. »Wir haben dieses Schiff selbst beladen, Andrej. Dieser verdammte Kahn ist ein einziges schwimmendes Pulverfass, bis in den letzten Winkel vollgestopft mit Kugeln und Schießpulver.«
»Und?«, fragte Andrej. Sollte das ein Grund sein, warum Loki nicht aufbrechen und sich irgendwo sein eigenes kleines Königreich suchen sollte?
»Mehr aber auch nicht«, fuhr Abu Dun fort. »Ich habe mich ein wenig umgesehen, als uns diese sogenannten Götter wieder nach oben gebracht haben. Wir haben Wasser für eine Woche an Bord, wenn die Mannschaft einigermaßen haushält, und die Lebensmittel reichen nicht einmal so lange. Was immer sie vorhaben – wir segeln nicht in die Karibik. Jedenfalls nicht sofort.« Andrej schwieg dazu. Seine Gedanken begannen schon wieder auf Pfaden zu wandeln, die er nicht beschreiten wollte, von denen er sie aber auch nicht abbringen konnte, so sehr er es auch versuchte; als hätte er einen schlammigen Weg betreten, der plötzlich unter ihm nachgab und zu einem Strudel wurde, der ihn schneller und schneller mit sich in die Tiefe riss. Ihm kam eine andere, weit schrecklichere Idee: Was, wenn Abu Dun recht hatte und sich zugleich doch sehr täuschte? Selbstverständlich hatten sie auf ihrem Weg zur Bilge hinab nur einen winzigen Teil des Schiffes gesehen. Es mochte ganze Säle voller Trinkwasser und Lebensmittel geben, die sie nicht zu Gesicht bekommen hatten … aber was, wenn es einen Grund hatte, dass Loki jeden Fußbreit des zur Verfügung stehenden Laderaumes mit Munition und Schießpulver hatte vollstopfen lassen … zum Beispiel den, dass sie unterwegs in einen Teil der Welt waren, in dem Kanonenkugeln und Schwarzpulver ein kostbares Gut darstellten, das nicht so leicht zu ersetzen war.
Was, wenn die Mannschaft keine Nahrung brauchte? Andrej hatte es nie ausprobiert, und angesichts der gewaltigen Mengen an Fleisch und Gemüse, die Abu Dun zu jeder sich bietenden Gelegenheit in sich hineinstopfte, war er nicht einmal auf die Idee gekommen … aber war es möglich, dass Wesen wie sie allein von gestohlenem Leben existieren konnten?
So schrecklich die bloße Idee war, zwang er sich doch, einen Moment lang darüber nachzudenken. Die Menschen erzählten sich die wildesten Geschichten über Wesen ihrer Art, die meisten nicht wahr, manche vielleicht mit einem wahren Kern, der tausendmal neu erzählt und jedes Mal weiter ausgeschmückt und selbstverständlich blutrünstiger geworden war, andere frei erfunden und nur grotesk. Aber niemand kannte wirklich das Geheimnis der Unsterblichen – auch Abu Dun und er nicht.
Andrej lauschte in sich hinein und stellte beunruhigt fest: Es war inzwischen beinahe drei Tage her, dass er das letzte Mal etwas gegessen hatte, aber er verspürte keinen Hunger – keinen, den er mit Fleisch oder Brot stillen konnte.
Mit einer enormen Willensanstrengung versuchte er den Gedanken zu verdrängen. Es gelang ihm nicht vollkommen, aber der Zweifel beherrschte sein Denken nicht mehr, sondern pochte wie eine schwärende Wunde weiter, schmerzhaft genug, um nicht wirklich in Vergessenheit zu geraten, aber erträglich.
»Diese Namen sind kein Zufall, Andrej«, beharrte Abu Dun noch einmal. »Du weißt das, verdammt noch mal! Wir sind ihnen schon einmal begegnet!«
Glaubte der Nubier tatsächlich, er hätte es vergessen? »Ich weiß«, sagte er, ohne sich zu ihm umzudrehen. Leiser, und in einem Ton, der verletzend war und nichts anderes sein sollte, fügte er hinzu: »Ich erinnere mich an Meruhe, mein Freund. Genauso gut wie du.«
Das saß. Er konnte hören, wie Abu Dun scharf die Luft zwischen den Zähnen einsog, und spüren, wie er sich spannte; aber

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