Goettersterben
Sinn seiner Worte erraten hatte, war Pedro klug genug, es bei einem ärgerlichen Schürzen der Lippen zu belassen. »Wenn ihr mit dem Freund dieser hochgestellten Persönlichkeit reden wollt, dann kommt in einer Stunde wieder, oder besser in zwei. Solange sie die Gefangenen von Bord bringen, kommt niemand auch nur in die Nähe des Piers.«
Andrej sah zu der Reihe der Gefangenen hin, die immer noch kein Ende zu nehmen schien. Drei-, vierhundert Mann, schätzte er, wenn nicht mehr. Die Bullseye war kein kleines Schiff, aber mit einer solchen Menge an Gefangenen mussten unter Deck des Dreimasters unbeschreibliche Zustände geherrscht haben. Wahrscheinlich konnte ein Großteil dieser Männer von Glück sagen, überhaupt noch am Leben zu sein. Der Anblick versetzte ihm einen tiefen Stich, erfüllte ihn aber auch mit Zorn. Diese Männer waren Soldaten Kriegsgefangene - und somit Krieger wie Abu Dun und er. Er hatte in mehr Kriegen gekämpft, von denen irgendeiner dieser Männer auch nur wusste, und mehr Schlachtfelder gesehen, als die meisten von ihnen Kanonenschüsse gehört hatten. Abgesehen von Abu Dun vielleicht war der Tod der treueste und älteste Begleiter in seinem langen Leben gewesen.
Niemals hatte Andrej an den moralisch verbrämten Unsinn von einem ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld geglaubt. Es gab keine Ehre in einem gewaltsamen Tod, und keinen Grund, sein Leben zu opfern, nur um einem dummen Ideal nachzujagen. Krieg war einfach nur brutal, in den meisten Fällen sinnlos und immer grausam. Abgesehen von einem Schlachtfeld voller Toter und Verstümmelter war der Anblick einer Kolonne von Kriegsgefangenen vielleicht das Schlimmste, was der Krieg zu bieten hatte. Es waren nicht die Ketten, in die diese Männer geschlagen waren, oder der Anblick ihrer schmutzigen Verbände, ihrer zerfetzten Kleider oder kaum verheilten Wunden. Es waren ihre Gesichter. Die Leere in ihren Augen und ihre schlaffen Züge. Gesichter, aus denen alle Kraft und jede Zuversicht verschwunden waren, um vielleicht nie wieder zurückzukehren. Alles, wofür sie gekämpft hatten, war verloren. All ihr Leiden, all ihr Mut und ihre Schmerzen und Furcht waren umsonst gewesen. Er konnte beinahe verstehen, dass manchem dieser Männer der Tod als der leichtere Ausweg erschien, angesichts dessen, was den meisten von ihnen bevorstand.
Aber er wusste auch, dass dieser Ausweg ein trügerischer war.
»Wohin werden sie gebracht?«, fragte er.
»Die Gefangenen?« Pedro deutete auf einen wuchtigen Bau mit mehreren gedrungenen Türmen, der die Hafengebäude in einer Entfernung von vielleicht einer Meile überragte. »In die Zitadelle. Die, die sie überleben, kommen zurück, um bei der Ausrüstung der Flotte zu helfen.« Andrej war sicher, sich den bitteren Unterton in seiner Stimme nicht nur einzubilden.
»Und das war de Castellos Idee?«, vergewisserte sich Andrej.
»Selbstverständlich«, antwortete Pedro, mit einem freudlosen Lachen. Doch dann kniff er misstrauisch die Augen zusammen. »Warum fragst du?«
»Weil es eine dumme Idee ist«, antwortete Abu Dun an Andrejs Stelle. »Kriegsgefangene zur Arbeit einzusetzen, ist im Allgemeinen eine dumme Idee. Sie zur Arbeit an Schiffen einzusetzen, von denen sie wissen, dass sie in wenigen Tagen gegen ihre Kameraden und Brüder kämpfen werden, ist allerdings die Dümmste aller dummen Ideen, von denen ich je gehört habe.« »Meine Rede«, sagte Pedro grimmig. »Ganz davon abgesehen, dass sie vielen guten Männern hier Lohn und Brot wegnehmen, auf die sie dringend angewiesen sind. Dieser Castello ist …« Er beendete den Satz mit einem trotzigen Schnauben, auch wenn Andrej das sichere Gefühl hatte, dass ihm noch eine Menge mehr auf der Zunge lag.
Statt es auszusprechen, wechselte er das Thema. »Ihr solltet hier nicht bleiben«, sagte er und zeigte auf die Soldaten und die Kette aus Gefangenen, die immer noch kein Ende nehmen wollte. »Die hohen Herren sind nervös, solange sich dieses britische Pack nicht sicher hinter Schloss und Riegel befindet. Und wenn die Offiziere nervös sind, findet sich immer ein übereifriger Soldat, dem der Säbel locker sitzt. Sie kontrollieren alles und jeden. Selbst meine Papiere wollten sie schon sehen!«, fügte er empört hinzu. Dann fragte er: »Habt ihr Papiere?«
Abu Dun schwieg, und Andrej zauberte zum ersten Mal seit Beginn des Gespräches ein schmales Lächeln auf seine Züge.
»Ja, das habe ich mir gedacht«, seufzte Pedro. »Und du redest trotzdem mit uns?«
Der
Weitere Kostenlose Bücher