Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
durch die Menge zu den Amtshäusern, die den Platz umschlossen. Die Laubengänge in ihren Erdgeschossen, düster und mit gedrungenen Torbögen, boten Zuflucht für all jene, die ihr Antlitz nicht gern aller Welt offenbarten.
Auch jetzt bevölkerten sie wieselgesichtige Hütchenpieler, zahnlose Bettler und Taschendiebe, die so schlecht waren, dass sie wohl nicht einmal einem Taubblinden etwas klauen konnten.
In diesem Haufen stach ihm Salus mit seinem flachsblonden Schopf und seinen edlen Gesichtszügen gleich ins Auge. Er lehnte gegen einen Fenstersims, hielt in der einen Hand zwei Kiefernscheite und in der anderen einen Zündstein. Als er ihn erkannte, breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht, so fein wie ein Kunstwerk aus Ibbien, das Rowen dennoch erschaudern ließ.
»Da bist du ja, meine Maus – weißt du, was hier vor sich geht?«
»Irgendetwas Wichtiges, wenn so viele Leute auf den Beinen sind.«
Salus fügte seinem Lächeln eine Spur Ironie hinzu. »Dein Scharfsinn ist bemerkenswert.«
»Komm schon, mach's nicht so spannend. Du bist ja schlimmer als eines von diesen Schauspielen, bei denen am Ende sowieso alle sterben.«
»Das hier ist ein Opferfest für Orchon, um für den Kreuzzug zu beten. Seit drei Dekaden hält das Ewige Konzil sie jeden Abend ab. Auf dem Podest stehen keine Geringeren als der Scriptor Magnus, der Orcholyt Magnus, Kanzler Vallantus und der Vizekanzler. Nicht gerade das schlechteste Publikum für unseren ersten Auftritt.«
Rowens Herz entschied sich dafür, einen Augenblick lang das Schlagen einzustellen. »Bi-bist du wahnsinnig?«, stammelte er. »Hier wimmelt es nur so von Soldaten! Die werden nicht nur irgendwelche armen Opferlämmer schlachten, sondern uns gleich mit.«
»Hab Vertrauen. Die Leute werden sich uns anschließen. Halt mal!« Salus drückte ihm die Kiefernscheite in die Hände und machte sich daran, ihre stoffumwickelten Enden mit dem Zündstein zu entfachen.
Unterdessen erhob der oberste Orcholyt seine Stimme zum Opfergebet:
»Orchon, Erhabener, zeige uns deine Güte.
Orchon, Erleuchteter, zerschlage die Finsternis,
Dafür geben wir dir Blut,
Dafür geben wir dir Fleisch,
Dafür geben wir dir Leben.«
Ein Novize zerrte ein Rind an seinem Nasenring aus einem Pferch neben dem Podest. Das Vieh schnaufte ängstlich und stemmte sich gegen ihn, aber der Bursche war muskelbepackt und zog es stoisch weiter.
Mit feierlich langsamen Schritten stiegen die vier Würdenträger von dem Schafott, wobei zwei Novizen Thallius in seinem Rollstuhl tragen mussten. Ein Crescendo an Buhrufen und Pfiffen kam auf, das mit jeder Stufe, die sie hinter sich brachten, anschwoll.
»Gebt uns das Fleisch von dem Rindvieh lieber zu essen, als eurem toten Gott!«, brüllte ein zahnloser Kauz gleich vor Rowen.
Es war nicht Kanzler Vallantus, der die Menge zum Schweigen brachte, sondern der Vizekanzler Adlatus. Obwohl er nicht einmal dreißig Winter erlebt hatte, bedeckte schon schlohweißes Haar sein Haupt.
»Iss eine Kuh und du bist satt für eine Nacht«, rief er mit seiner immerzu heiser klingenden Stimme. »Aber opfere eine Kuh dem Einen und du wirst nie mehr hungern. Habt ihr diese Weisheit etwa vergessen?«
Mit diesen Worten ließ er nur für einige Momente Stille einkehren. Als er geendet hatte, prasselte Spott wie ein Hagelschauer auf ihn ein. Noch flogen keine Steine und Pferdeäpfel, aber das war auch das einzige, was den Zorn der Menge von Rowens letztem Mal auf dem Richtplatz unterschied.
Salus war es gelungen, die beiden Fackeln zu entfachen. Er schmiss den Zündstein weg und sagte: »Jetzt wirst du mit hoch erhobener Fackel auf die Mitte des Platzes zugehen. Mehr ist es nicht.«
Mit verzogener Miene starrte Rowen auf das Feuer der Fackel. »Da werde ich ein wunderbares Ziel für Armbrustschützen sein.«
Seufzend verdrehte Salus die Augen. »Mach dir nicht ins Hemd. Du bist ja verängstigter als ein Katzenjunges. Ich habe es durchgeplant, dir wird nichts geschehen. Alle sind hier, Juditta, Oddo, die ganzen anderen.«
»Mir bleibt ja nichts anderes übrig.« Rowen pumpte Luft in seine Lungen.
»Denk an die Spitzmandelkerne. Trinken oder nicht trinken. Um was anderes geht es auch hier nicht.« Erst klopfte ihm Salus aufmunternd auf die Schulter, dann stieß er ihn vor. »Hol uns das wieder, was gestohlen worden ist.«
So langsam, als wäre er Teil einer Prozession, schritt Rowen durch die Menge, genau auf das Podest zu. Die Blicke der Leute neben ihm fielen
Weitere Kostenlose Bücher