Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
er die hoffnungsvoll funkelnden Augen der Leute sah. Ich werde es nicht so vergeuden wie mein letztes.
Er wälzte sich herum. Die zwei Schlaflager neben ihm waren verwaist. Wo steckten seine Schwestern? Er stand auf, streckte sich und streifte seine Beinlinge über den Lendenschurz.
Als er sich auf der Suche nach ihnen durch den Menschenhaufen drängte, hefteten sich bewundernde Blicke auf ihn, als wäre er kein verschlafenes Mäuschen, sondern ein Soldat in Prunkrüstung.
Was ihm in der Masse auf dem Richtplatz noch unangenehm gewesen war, genoss er jetzt. Weil ich es verstehe , dachte er. Er war der Spiegel ihrer Hoffnung.
Es war sein Diebesinstinkt gewesen, der ihn jedes Mal hatte zusammenzucken lassen, wenn ihn jemand gemustert hatte, aber jetzt versuchte er sogar, das Lächeln der anderen zu erwidern. Allmählich gewöhnte er sich an seine neue Rolle.
Clodia und Domitia saßen gemeinsam mit einem Kahlkopf, dessen Schädel von Altersflecken besprenkelt war, an dem großen Tisch und aßen Haferbrei aus Holznäpfen.
»Da seid ihr ja«, sagte er und fuhr ihnen durch die Haare. »Wer ist denn euer neuer Freund hier?«
Der Glatzkopf wandte sich ihm zu. Abgesehen von den Altersflecken ließ nichts an ihm eine Vermutung zu, wie viele Winter er bereits auf dem Buckel hatte. Sein faltenloses Gesicht war völlig haarlos, selbst die Augenbrauen fehlten. So erinnerte er an eine Eidechse, nur mit weniger Schuppen.
Um seinen Hals war ein Silberreif geschmiedet, in den vier Augen eingefräst worden waren.
Rowen schluckte. So einen Reif kannte er bislang nur aus furchtsam gewisperten Erzählungen. »Du bist ein Vieräugiger, ein Priester der Versunkenen Götter!«
Der Echsenmann reckte die Stellen, wo seine Augenbrauen sitzen sollten, in die Höhe. »Du hast tatsächlich den Blick eines Diebes, Herr Maus. Er fällt zuerst auf das, was funkelt.«
In Rowens Vorstellung hatte er gelispelt, weshalb ihn die dröhnende Stimme zusammenfahren ließ. Dass wildfremde Leute seinen Namen kannten, überraschte ihn schon gar nicht mehr.
»Von euch gibt es nur noch wenige, oder?«, fragte er. »Männer wie du führen ein gefährliches Leben.«
Der Blick des Priesters wanderte an Rowen vorbei auf einen weit entfernten, unsichtbaren Punkt. »Seit das Ewige Konzil herrscht, werden die Vieräugigen Priester als Ketzer gejagt, wie du weißt. Wenn wir erwischt werden, schmeißt man uns mitsamt unserer Reife auf den Scheiterhaufen. Über Jahrhunderte hinweg hat meine Familie aus Vieräugigen bestanden und viele meiner Vorfahren sind den Flammen zum Opfer gefallen.«
Als der Glaube an Orchon aufgekommen war, hatte man alle Statuen und Schreine der Vieraugengötter ins Meer geworfen, weshalb sie heute nur noch die Versunkenen Götter genannt wurden.
Rowen runzelte die Stirn. »Salus hat mir gesagt, er will, dass gar kein Gott mehr über uns steht. Was machst du – wie auch immer du heißt – dann hier?«
»Yannur«, dröhnte er und Rowen wunderte sich immer noch darüber, wie so tiefe Basstöne aus so einem hageren Körper dringen konnten. »Yannur ist mein Name. Weißt du, was Salus mir gesagt hat? Dass er niemanden wegen seines Glaubens verfolgen wird, außer jenen, die schon andere verfolgen. Er will keinen neuen Glauben für das, was der Republik nachfolgt, aber das heißt nicht, dass er Glauben unterdrücken würde.«
»Ich glaube, ich brauche noch ein bisschen, bis ich ganz genau verstehe, was Salus vorhat.« Er schnappte sich einen von Würmern durchlöcherten Apfel aus einer der Schalen und biss in das mehlige Obst.
»Du bist ja auch nicht zum Denken hier, sondern als Galionsfigur dieses Schiffes, das wir Revolution nennen.« Yannur lachte so schallend, dass Domitia sich vor Schreck an ihrem Brot verschluckte und hustete.
Wie lyrisch , dachte Rowen. Zumindest klangen Yannurs Worte nicht anders als die Litaneien in den Orchosakren. Priester blieb eben Priester.
»Yannur hat gesagt, er passt auf uns auf, während ihr unterwegs seid«, sagte Clodia und klopfte ihrer hustenden Schwester auf den Rücken.
»So, tut er das?«
Es gab schlechtere Aufpasser als einen Vieräugigen. Sie hielten sich an einen strengen Kodex, der es ihnen verbat, Verrat zu begehen, jemandem Leid anzutun und unter anderem auch, mehr als eine Frau zu nehmen. Obwohl sie erst so wenige Worte miteinander gewechselt hatten, hatte Rowen Vertrauen zu Yannur gefasst.
»Ich bin ein alter Mann, dennoch versuche ich, Salus so gut zu helfen, wie ich kann – und
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