Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
Pflaster.
So gelangte Rowen selbst auf Knien und Ellenbogen schnell zu Marentius. Eine spitze Eisenstange steckte in dem Bauch des Hehlers, seine türkisfarbene Samttunika war von Sand besprenkelt und blutdurchtränkt.
»Ich habe dich gesucht, Rowen«, sagte Marentius mit schwacher Stimme. Sein Habichtsgesicht war noch eingefallener und blasser als sonst. »Als ich die ganze Sache mit dem Galgenstrick gehört habe, habe ich mir gedacht, dass du zum Palast kommst. Hier hat mich irgendein Kerl erwischt, ein Besoffener. Ohne etwas zu sagen hat er zugestoßen, ohne jeden Grund.«
»Warum hast du mich gesucht? Nach dem, was du meinen Schwestern angetan hast, solltest du lieber vor mir das Weite suchen.«
Jetzt war es der Hehler, der verständnislos die Brauen zusammenzog. »Was soll ich denn mit deinen Schwestern gemacht haben?«
»Soll das jetzt einer deiner ach-so-schlauen Tricks sein? Alles leugnen?«, fuhr Rowen ihn an. »Du hast sie entführt! Domitia und Clodia! Entführt!«
»Warum hätte ich deine Schwestern entführen sollen?« Vor Aufregung wand sich Marentius, schrie schmerzerfüllt auf und umklammerte die Eisenstange.
»Um deine Schulden bei mir einzureiben! Wozu denn sonst?«
Marentius biss die Zähne aufeinander. »Ich habe Leute nach dir suchen lassen, das stimmt, aber ich würde doch niemals Kinder entführen. Selbst jemand wie ich hat noch so etwas wie Anstand.«
»Lüg mich nicht an!« Rowen zerrte seinen Kopf an den schlohweißen Haaren hoch. »Das kann ich jetzt nicht brauchen!«
Der Hehler setzte das verzweifelteste Grinsen auf, das Rowen jemals gesehen hatte. »Wieso sollte ich dich noch anlügen? Ich liege hier und verblute!«
Zugegeben, das war ein Argument. Rowen ließ seine Haare los. Aber wenn Marentius nicht seine Schwestern entführt hatte, wer dann?
Er stutzte. Wie Mosaiksteine fügten sich irgendwo in seinem von Schmerz und Trauer zerwühlten Verstand Erinnerungen zusammen; lose Gedankengänge, Ungereimtheiten, Gesprächsfetzen. Domitia und Clodia hatten Augenbinden getragen und ihre Entführer nie zu Gesicht bekommen. Auch Jolla hatte Marentius nicht gesehen. Der einzige, der an der Rettung beteiligt gewesen war, war Salus.
Salus. Wirklich?
»Nein …«, hauchte Rowen.
»Anscheinend glaubst du mir jetzt«, stöhnte Marentius erleichtert. »Kann ich dir jetzt erzählen, warum ich dich gesucht habe?«
»Ja, ja, mach nur«, sagte Rowen abwesend, während er weiter seinen Gedanken nachhing.
»Dieses Buch, das du für mich aus der Geheimen Bibliothek stehlen solltest, dieses Necronomicon «, setzte Marentius an, »ich hatte Angst, dass du nochmal versuchen würdest, es zu klauen.«
»Wie rührend«, sagte Rowen, nun wieder aufmerksam. Das musste er sich alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. »Ist dir doch aufgefallen, dass es Selbstmord ist, da einzubrechen?«
Marentius schüttelte den Kopf. Er hustete Blut, keuchte, fuhr heiser fort: »Nein, das meine ich nicht. Ich hatte Angst davor, dass du es tatsächlich in die Finger bekommst. Weil der Auftraggeber, der das Buch wollte, doch recht außergewöhnlich ist, habe ich Nachforschungen angestellt. Sie waren beunruhigend. Mehr als das …«
»Wer wollte das Buch denn haben?«
»Der Barde«, röchelte Marentius. »Arlot Asht.«
»Asht? Derjenige, der über den Göttersturz singt?«
Der Hehler nickte.
»Ich dachte, er würde in weiter Ferne sein, auf der Flucht vor den Kopfgeldjägern und Assassinen.«
»Das dachte ich auch, aber dann stand er auf einmal bei mir im Laden, eine Kapuze übers Gesicht gezogen.«
»Was will er mit so einer alten Schwarte?«
Marentius keuchte. »Das Necronomicon ist kein Buch, das man leichtfertig alte Schwarte nennen sollte. Aber was er damit will, weiß ich auch nicht.«
Was auch immer Ashts Plan ist , dachte Rowen, ich muss ihn finden. Auf ihn werden die Leute hören. Er kann diesen Wahnsinn beenden.
Jolla trat neben sie auf den Sandhügel. »Wir müssen weiter! Sonst kommen wir am Ende gar nicht mehr durch die Menge vor dem Palast.«
Marentius legte seine stielartigen Finger auf Rowens Arm, die ihn immer an eine Stabheuschrecke hatten denken lassen. »Eine Bitte noch, Maus – gebt mir den Gnadenstoß. Ich will hier nicht in meinem eigenen Blut verrecken.«
Bereitwillig zückte Jolla sein Bastardschwert, sagte aber: »Vielleicht ist noch nicht alles zu spät. Ein Medicus könnte dich noch zusammenflicken.«
Der Hehler winkte ab. »Ein Mann wie ich weiß, wann seine Zeit
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