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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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an sich. Überrascht ließ er es geschehen. Sie sah zu ihm auf, und mit leiser Wehmut bemerkte er, wie schön sie war. Nicht mehr das ganz junge Mädchen, nein, aber eine Frau von Charakter und Stärke. Ihr Gesicht war ebenmäßig, um ihren Mund spielte ein zärtliches Lächeln, das anders als ihre professionelle Freundlichkeit ihre Augen erreichte und dort haarfeine Fältchen hinterließ.
    »Wie alt bist du eigentlich?«, fragte er und hätte sich am liebsten prompt auf die Lippe gebissen.
    »Neunundzwanzig. Eine gesetzte Matrone bin ich mit den Jahren geworden, nicht wahr?«
    »Nein, das bist du nicht. Du siehst jung und seltsam weise aus.«
    Ihre Hand streckte sich zu seiner Schläfe aus, und sie strich ihm über die helle Strähne.
    »Alexander, sind wir beide nicht inzwischen alt genug, um uns dem zu stellen, was unübersehbar ist?«
    Er fühlte, wie seine Kehle eng wurde.
    »Wie meinst du das?«
    Jetzt stand sie vor ihm und legte ihre Hände auf seine Schultern. Langsam ließ sie sie an dem Samtrevers hinabgleiten und fuhr unter den Morgenmantel, um seine bloße Haut zu streicheln. Er hielt den Atem an.
    »Nicht, Amara.«
    »Aber Alex – ich habe dich dieses Jahr nicht auf dem Maskenball getroffen, aber vergessen habe ich den letzten nicht. Du etwa?«
    Ihre Finger fühlten sich warm und sanft an, und über seine Brust zog sich ein Schauder nach dem anderen. Er wollte es nicht, aber schon lagen seine Hände auf ihren Hüften. Sie drängte sich näher an ihn heran, und nun war ihr Gesicht ganz nahe an seinem.
    »Ich weiß, du bist ein Mann von strikten Grundsätzen. Aber glaubst du nicht auch, dass Regeln manchmal gelockert werden dürfen?«
    »Es ist nicht... Ich bin nicht in der Lage...«
    »Deine Lage, Alexander, wird sich wieder ändern, daran habe ich gar keinen Zweifel. Sprich mit meinem Vater, mit Jan, mit Max. Und sprich mit mir, Alexander. Heute Abend. Bei mir zu Hause. Wirst du kommen?«
    »Bist du sicher, dass es gut ist, worum du mich bittest?«
    »Ja, ich bin mir ganz sicher. Schon ziemlich lange. Und du auch, nicht wahr?«
    Ja, er war sich auch sicher. Und wenn der Verdacht, den er hegte, stimmte, dann war auch Rücksichtnahme nun nicht mehr nötig.
    »Ja, Amara, ich komme.«
    »Und du bleibst auch?«
    »Ja, Geliebte, ich bleibe auch.«
    An der Tür klopfte es, und sie ließen einander los, um dem Hausmädchen ein sittsames Bild zu bieten.

Aufklärung
    Die Summe unserer Erkenntnis besteht aus dem, was wir gelernt, und aus dem, was wir vergessen haben.
    Marie von Ebner-Eschenbach
     
     
    Ich arbeitete allein in meiner Küche. Melli hatte ein Engagement, und Julia verbrachte den Abend mit ihren Freundinnen im Pensionat. Mit gleichmäßigem Druck walzte ich die Kakaobohnen auf dem warmen Metate-Stein zu der klebrigen Masse, die ich benötigte, und die gewohnte, wenn auch eintönige Arbeit half mir beim Ordnen meiner Gedanken. Es duftete im Raum nach Schokolade und nach den Rosen, die vor dem offenen Fenster ihre letzten Blüten entfalteten. Puschok saß auf dem Sims und beobachtete irgendein Geschehen in der Dunkelheit. Sein Schwanz peitschte aufgeregt hin und her.
    Wie so oft musste ich meine Sehnsucht nach Alexander mit Macht zurückdrängen, damit sie nicht überhandnahm und mich vom klaren Denken abhielt.
    Er war an dem Abend nach der Fabrikeinweihung zu mir gekommen, und wir hatten einander endlich das gegeben, wonach wir uns schon so lange verzehrten. Doch viel Zeit für unsere wachsende Vertrautheit blieb uns nicht. Mein Vater und auch Jan und ich hatten noch am Nachmittag mit ihm über das passende Vorgehen gesprochen, und der beste Rat lautete, die Stadt für eine Weile zu verlassen, bis Gras über die Angelegenheit gewachsen war. Das galt für den gesellschaftlichen Eklat. Für die Firma, die durch das Versagen der Maschine in Misskredit geraten war, konnte eine Abwesenheit ebenfalls von Nutzen sein, denn Alexanders Ruf als Ingenieur und Erfinder hatte inzwischen weit größere Kreise gezogen als nur im lokalen Bereich. Er besaß Freunde in Berlin, mit denen er seit Jahren korrespondierte, und die würde er aufsuchen. Auch die Angebote, an Veröffentlichungen mitzuarbeiten, Vorträge zu halten und an Symposien teilzunehmen, die er bisher immer ausgeschlagen hatte, weil seine Entwicklungen und die Firmenführung Vorrang hatten, würde er nun annehmen. Nettekoven konnte sich mit den kleineren Aufträgen gut über Wasser halten, die Experimente mussten eben warten. Und vielleicht ergaben sich

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