Göttertrank
ja aus den Kontakten sogar befruchtende neue Ideen.
So war Alexander im April nach Evasruh aufgebrochen, um zunächst seine Eltern zu besuchen. Dann war er mit seinem Vater nach Berlin gereist, und seine Briefe klangen wieder nach Tatendrang und Energie.
Und von Sehnsucht sprachen sie auch.
Und der letzte kündigte seine baldige Rückkehr an.
Ich seufzte leise. Das Warten wurde dadurch nicht leichter.
Aber immerhin hatte ich Julia wieder bei mir. Ich mochte das Mädchen wirklich, manchmal fühlte ich mich in meine erste Zeit mit Melli zurückversetzt. Alexanders Tochter war jetzt vierzehn Jahre alt und wie eine jüngere Schwester für mich.
Dass sie wieder bei uns wohnte, hatte ebenfalls mit dem Eklat zu tun, ja es war sogar ihr ganz eigener, den sie geschickt inszeniert hatte.
Zwei Wochen nach Alexanders Abreise klopfte sie, von einem Aprilschauer durchweicht, mit schlammigen Rocksäumen und einer trotzigen Miene, spätabends an unsere Hintertür.
»Ich geh nicht mit! Wenn ihr eine Nachricht schickt, bin ich gleich wieder weg!«, sprudelte sie hervor. Melli zerrte sie in die warme Küche und rubbelte ihr erst einmal mit einem Handtuch die nassen Haare trocken.
»Keiner schickt Nachrichten, wenn du es nicht willst«, beruhigte ich sie. »Aber du siehst aus, als hättest du dich im Uferschlamm des Rheins gewälzt.«
»Hab ich aber nicht. Ich hab mich nur hinter den Pferdeställen versteckt.«
»Daher das köstliche Parfüm. Vor wem versteckt?«
»Vor meiner Mutter. Sie kam heute ins Pensionat und hat mir befohlen, mit ihr nach Elberfeld zu reisen.«
Das erhellte die Angelegenheit wesentlich.
»Ist sie noch in Bonn, Julia?«, wollte ich wissen.
»Nein, sie hat die Postkutsche am Abend genommen. Und einen Haufen Beruhigungstropfen.«
Melli gab ein böses Schnauben von sich und erklärte: »Paula ist als Mutter eine komplette Fehlbesetzung. Schön, dass du hergekommen bist, Julia. Amara, wir können ihr doch bestimmt das Gästezimmer richten?«
»Das könnten wir, Melli. Aber spätestens morgen müssen wir im Pensionat vorstellig werden und die Lage erklären.« Julia machte den Ansatz zu einer bockigen Bemerkung, aber ich brachte sie mit einer raschen Geste dazu, sie hinunterzuschlucken. »Du gehst weiter zur Schule und wohnst die Woche über im Pensionat. An den Wochenenden und in den Ferien kannst du zu uns kommen. Ich schreibe heute noch deinem Vater, ich denke, er wird damit einverstanden sein.«
Das Störrische verschwand aus Julias Miene, und plötzlich rannen Tränen über ihre Wangen. Sie tat mir leid – sie war noch so jung, die andauernden Zwistigkeiten zwischen ihren Eltern hatten sie verstört. Doch ihre Sehnsucht nach Alexander stand der meinen in nichts nach. Melli und ich umarmten sie gleichzeitig.
Die Schokoladenmasse war nun von der richtigen Konsistenz, um den feinen Zucker hinzuzufügen. Ich wog die Mengen ab, die uns aus langer Erfahrung als das beste Verhältnis zwischen Kakao und Zucker erschienen, und machte eine entsprechende Notiz in meiner Kladde. Jan hatte es angeregt, bei meinen Küchenexperimenten genauso vorzugehen, wie sie es bei den Versuchen im Labor taten.
Während ich weiterarbeitete, wanderten meine Gedanken zu der Entwicklung der Gesundheitsschokolade zurück. Auch sie war in einer Küche entstanden, und ich verkaufte sie noch immer mit großem Erfolg an die Hofapotheke. Leise lächelnd kam mir gerade der Gedanke, dass ich wohl doch das typische Küchenmädchen war, das mich Dotty einst geschimpft hatte. Fast alle wirklich großen Ereignisse in meinem Leben hatten ihren Ausgang in diesem Raum. Inzwischen galt unsere Küche hier in Bonn als der exklusive Treffpunkt einer kleinen Elite, zu der sogar die Rheingräfin gehörte. Aber das war eine andere Geschichte. Jetzt fiel mir gerade im Zusammenhang mit der Gesundheitsschokolade die heftige Diskussion ein, die ich mit Jan und Max geführt hatte. Es ging um den Wunsch des Hofapothekers, auch Morphium in Schokoladenpastillen zu mischen. Jan war sofort bei einem seiner Lieblingsthemen, das Extrahieren von Alkaloiden und ihrer Wirkung auf den Menschen. Er riet mir dringend, den Wunsch des Apothekers abzulehnen, und klärte uns über die durchaus umstrittene Wirkung von Morphium auf. Als Beispiel führte er die Unfälle an, die durch das Fehlverhalten von Arbeitern, die an Maschinen tätig waren, verursacht wurden, weil sie dieses Mittel eingenommen hatten. Ich bemerkte, wie Max stiller und stiller wurde. Das kam
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