Göttertrank
undurchdacht und ohne jeden Sachverstand. Ich sage Ihnen eins – ich lasse morgen meine Mechaniker kommen, die richten Ihnen das schon. Unsere Ventile arbeiten auf die herkömmliche, bewährte Art. Da passiert so eine blamable...«
Weiter kam er nicht. Blass vor Zorn packte Alexander ihn mit beiden Fäusten am Revers und hob ihn bis fast auf Nasenhöhe zu sich hoch.
»Reinecke, Sie nehmen diese Unterstellung augenblicklich zurück!«
»Alexander!«, kreischte Paula und stürzte zu ihm hin.
»Herr Masters, ich muss doch bitten!«, mahnte auch Mehlem streng.
Alexander besann sich und ließ seinen Schwiegervater los. Der strich sich betulich und mit einem leicht verächtlichen Lächeln den Kragen glatt und bemerkte: »Ihren Hang zur Gewalttätigkeit haben Sie noch immer nicht überwunden, wie mir scheint. Vermutlich hat Ihr Aufenthalt in der Festung Jülich Sie mit anderen subversiven Subjekten zusammengebracht, die diese bedauerliche Seite noch geschürt haben.«
»Reinecke!«, zischte Alexander warnend.
Doch der wandte sich nur verbindlich lächelnd an die umstehenden, gebannt lauschenden Damen und Herren. »Dabei stünde es einem Ingenieur erheblich besser an, wenn er sich darauf konzentrierte, die Technik zu beherrschen, die er für teures Geld verkauft, statt sie mit wohlfeilen Worten zu loben.«
Alexander konnte sich nicht mehr zurückhalten, es war ihm unmöglich. Seine Faust flog vor, bevor er merkte, was er tat, und landete auf Reineckes Kinn. Der Mann hob sich auf die Zehenspitzen, suchte Halt an dem Fabrikanten, riss ihn mit nieder, verfing sich in der ausladenden Krinoline der Kommerzialrätin und schlug lang auf den Boden. Die Dame fiel mit ausgebreiteten Röcken und einem empörten Schrei über ihn.
Die Hölle brach los.
»Mensch, Alexander, was machen Sie?« De Haye packte ihn an der Schulter, aber er schüttelte nur den Kopf. »Kommen Sie, raus hier, solange der Tumult noch anhält.«
Zutiefst gedemütigt schloss Alexander die Augen und ließ sich zu de Hayes Kutsche führen. Das Letzte, was er sah, war Mehlem, der Reinecke aufhalf und eifrig gestikulierend auf ihn einredete.
Sie sprachen auf dem Weg zu de Hayes Haus nicht, und auch dort blieb Alexander zunächst stumm über seinem Glas Cognac sitzen.
Man hatte ihn Staub fressen lassen.
Ein gequältes Stöhnen stahl sich aus seiner Kehle. Was war nur geschehen?
»Ich nehme an, bis vor Kurzem hat die Maschine noch einwandfrei funktioniert?«, fragte de Haye schließlich und schenkte sein Glas noch einmal voll.
»Hat sie. Natürlich. Jemand hat sich daran zu schaffen gemacht. Und wenn ich nicht so wütend gewesen wäre, hätte ich diese Angelegenheit auch gleich am Ort überprüfen müssen.«
»Alle haben die Beleidigungen Reineckes mitbekommen. Sie wurden gezielt geäußert, um Sie zu einer unbedachten Handlung zu verleiten. Man wird das bei kurzem Bedenken erkennen.«
»Ihr Glaube in die Erkenntnisfähigkeit der Menschen ist beachtlich, de Haye. Ich vermute, viel ergötzlicher als die Wahrheit ist der Skandal.«
»Über den wird Gras wachsen. Es ist nicht das erste Mal, mein Freund, dass ein Mann seine Rechte mit der Faust wahren muss.«
»Meinetwegen, vielleicht kann der gesellschaftliche Fauxpas in Vergessenheit geraten. Aber mit welcher Entschuldigung soll ich das Fehlverhalten meiner Dampfmaschine erklären?«
»Darüber denken wir nach, wenn Sie eine Nacht darüber geschlafen haben. Ich schlage vor, Sie ziehen sich jetzt zurück. Ein heißes Bad, eine ruhige Nacht und ein reichhaltiges Frühstück, danach werden Sie sich besser fühlen. Dann reden wir miteinander und suchen einen Ausweg.«
Alexander nickte. Es hörte sich so vernünftig an, und mehr konnte er im Moment auch nicht tun. Also folgte er seinem Gastgeber in die obere Etage, wo ein Zimmer für ihn bereitet worden war.
Bevor de Haye die Tür schloss, fragte er aber nach einem tiefen Atemzug: »Sie halten mich nicht für ein dilettantisches Großmaul?«
»Nein. Das tue ich nicht, und Ihre Freunde auch nicht.«
»Es reicht ja auch, wenn meine Feinde es tun.«
»Unterschätzen Sie den Wert der Freundschaft nicht, Junge. Und da kommt auch schon Ihr Bad.« Ein Diener mit einer Sitzbadewanne und ein weiterer mit zwei Kannen voll heißem Wasser traten ein und machten sich hinter dem Paravent zu schaffen. »Übrigens habe ich ein Grundstück am Rhein gekauft und werde mir dort ein repräsentatives Haus bauen. Die Gegend hier gefällt mir. Und Sie werden mir hoffentlich
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