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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nur mit den Schultern und meinte: »Ich erwähnte es neulich, Alexander. Aber Sie sind ja immer so geistesabwesend, wenn Sie über Ihren Erfindungen brüten.«
    Er konnte ihr nicht widersprechen, möglicherweise hatte er es wirklich überhört. Doch bevor er sich den Weg durch die Gäste bahnen konnte, um Reinecke zu begrüßen, wurden sie gebeten, an der Tafel Platz zu nehmen. Auch Amara mit ihrem Vater gehörten zu den Geladenen. Er spürte eine kleine freudige Stichflamme, als er sie erblickte. Erstaunlich war es hingegen nicht, denn de Haye hatte sich brennend für die Konstruktion der Fabrik interessiert und als einflussreiches Mitglied der Gesellschaft schnell Eingang bei Anton Mehlem gefunden. Vermutlich, so spekulierte Alexander, wollte er sich einen Eindruck davon verschaffen, wie seine Ideen wirklich in der Praxis funktionierten.
    Auch wenn die Umgebung etwas unkonventionell war, das Essen, das von dem gut geschulten Personal aufgetragen wurde, war ausgezeichnet. Nach dem ersten Gang erhob sich der Fabrikant und hielt eine nicht besonders eloquente, aber herzliche Rede, die durch seinen rheinischen Tonfall ihre eigene Würze erhielt. Alexander sah de Haye amüsiert zwinkern.
    Ein behäbiger Kommerzialrat brachte nach dem nächsten Gang einen Toast auf den industriellen Fortschritt aus, weitere Speisen wurden gereicht, und die Unterhaltung plätscherte gefällig dahin. Alexander nahm nicht daran teil, er hatte ein Auge auf seine beiden Mechaniker, die jetzt dabei waren, die Dampfmaschine für ihren Einsatz vorzubereiten. Im Kesselhaus war bereits Stunden zuvor eingeheizt worden, damit zum Höhepunkt der Veranstaltung der Fabrikant nur den vergoldeten Hebel umlegen musste, um die gesamte Anlage in Betrieb zu nehmen.
    Alexander lehnte das nächste Glas Wein ab, da er für seine Rede, die kurz vor Ende des Essens erwartet wurde, klaren Kopfes sein wollte. Er folgte dann auch dem Wink Mehlems und schilderte, wie er selbst feststellte, mit einigem Stolz, die Eigenschaften der Dampfmaschine, die auf Grund der Neuentwicklungen der Firma Nettekoven eine weit größere Leistung erbrachte als die bisher auf dem Markt verfügbaren Maschinen. Vor allem die innovative Ventiltechnik, die eine präzisere Regelung möglich machte, und die reibungslosere Kraftübertragung von Schwungrad auf Transmissionswelle, die sie neu entwickelt hatten, hob er hervor. Er bemühte sich, so wenig wie möglich Fachbegriffe zu verwenden, sondern sprach in leicht verständlichen Vergleichen, wodurch ihm sogar die Aufmerksamkeit der Damen zuteilwurde.
    Zum Schluss verneigte er sich vor Anton Mehlem, dem Fabrikanten, der ihm sein Vertrauen geschenkt hatte, und nippte an seinem Champagner, als Mehlem den letzten Toast ausbrachte und zur Maschine schritt.
    Alle erhoben sich und stellten sich um das schwarze Ungeheuer, dessen gewaltige Kraft nun gleich die gesamte Maschinerie zum Leben erwecken würde.
    Mit ausholender Geste legte der Fabrikant den Hebel um. Dampf strömte vom Kessel in den Zylinder, gemächlich bewegte sich der Kolben nach vorne, aus dem Auslassventil schoss ein Wölkchen, der Kolben fuhr zurück, wurde diesmal schneller nach vorne gepresst, setzte gemachvoll das Schwungrad in Rotation, fuhr zurück, vor, zurück, vor …
    In unerträglicher Langsamkeit arbeitete die Maschine, und hilflos schaute einer der Mechaniker zu Alexander hin.
    Irgendetwas stimmte hier nicht. Vorletzte Woche hatte die Maschine im Probebetrieb ihre volle Leistung erbracht. Alexander eilte zu ihr hin, um die Messgeräte zu überprüfen, und stellte mit Entsetzen fest, dass der Dampfdruck im Zylinder nicht aufgebaut wurde. Gleichzeitig fing das Auslassventil – ebenjenes, das er noch kurz zuvor gerühmt hatte – ohrenbetäubend an zu pfeifen und stieß einen heißen Dampfstrahl aus. Geistesgegenwärtig zerrte er den Fabrikanten, der sich neugierig genähert hatte, aus dem Gefahrenbereich, damit er nicht verbrüht wurde. Er brüllte nach den Mechanikern, doch die blieben verschwunden. Wütend stürzte er zum Kesselhaus, wo nur einer seiner Leute vollkommen perplex auf die leckende Dampfleitung starrte.
    »Runterfahren, sofort!«, befahl er. »Feuerung aus!«
    Dann lief er zurück und wurde, als das Pfeifen nachließ, gewahr, wie sein Schwiegervater laut und für alle vernehmlich erklärte: »Wissen Sie, Mehlem, der Masters hat, als er noch bei mir angestellt war, schon immer gerne herumexperimentiert. Spieltrieb, wie ein kleiner Junge, aber völlig

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