Göttin der Rosen
seiner.
»Ihr solltet etwas essen«, meinte er. »Das wird Euch stärken.«
Sie starrte ihn an. Wie, zur Hölle, sollte sie essen, wenn er dort stand und sie beobachtete?
Zu ihrer Überraschung erkannte sie mühelos das Verständnis in seinen so fremdartigen Zügen. Und gleichzeitig bemerkte sie noch etwas anderes, etwas, das seine mächtige Stimme wie Nebel verschleierte. Traurigkeit …
Klang er wirklich traurig, oder bildete sie sich das nur ein?
»Ich sollte Euch in Ruhe essen lassen. Aber zuerst erlaubt mir …« Er unterbrach sich und stieß einen scharfen, unverständlichen Befehl aus. Dann streckte er eine Hand aus, und sofort erschien in der Luft ein Zwilling des Kristallkelchs, den sie zerbrochen hatte.
Sie gab einen erstickten Laut von sich, irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Schrei.
»Wolltet Ihr nicht ein neues Glas?«, fragte er verwundert.
Mikki konnte nur nicken. Ihr schwirrte der Kopf, und sie hatte die Idee, dass sie zu dem Wein gern auch noch eine Valiumtablette gehabt hätte.
Er musterte sie eindringlich, und sie dachte, dass seine Züge ein bisschen weicher wurden, aber sein Gesicht war immer noch so grimmig, dass sie es nicht mit Sicherheit sagen konnte. »Darf ich Euch dieses Glas bringen?«
Sie zögerte und nickte dann erneut, schnell und ruckartig.
Langsam kam er auf sie zu, und da merkte Mikki, dass sein athletischer Gang gleichzeitig animalisch und auf eine kraftvolle Art fast elegant war. Die schweren Schritte seiner Hufe hallten in der Stille des Balkons unnatürlich laut wider. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Als er näher kam, konnte sie nicht anders, als sich gegen die Rückenlehne ihres Stuhls zu pressen und starr und regungslos dazusitzen. Ihr Herz hämmerte laut in ihren Ohren, und für einen Moment befürchtete sie, dass sie sich selbst Lügen strafen und in Ohnmacht fallen würde.
Würde er sie auffangen? Die Vorstellung, dass er sie berührte, ließ ihren Körper erbeben.
Als er den Scherbenhaufen erreichte, machte er eine Handbewegung und flüsterte etwas, was Mikki nicht verstand.
Die Scherben reagierten sofort auf seinen Befehl und stoben in einem kleinen Tornado vom Balkon.
Dann stand er neben dem Tisch. Das Licht des Kerzenleuchters flackerte über seine Gestalt und tauchte die harten, muskulösen Linien seines Körpers in einen weichen Schein. Er regte sich nicht, sondern ließ ihr Zeit, ihn zu mustern und sich an seine Nähe zu gewöhnen.
Im Gegensatz zu der Statue im Park war der lebende Wächter bekleidet. Er trug einen schwarzen Brustharnisch aus Leder über einer kurzen Tunika. Die Aufmachung erinnerte Mikki an Russell Crowe in Gladiator , aber neben dem Wächter hätte der australische Schauspieler ausgesehen wie ein verkleideter Junge.
Das Wesen war riesig, sicher über zwei Meter. Seine Haare waren so schwarz wie die Neumondnacht und fielen in dichten Locken um seine Schultern. Zwei dunkle Hörner ragten aus seinem Schädel, wanden sich nach vorn und endeten in gefährlich aussehenden Spitzen. Sein Gesicht … Mikki stockte der Atem. Das Gesicht der Statue war grob behauen und undeutlich gewesen, aber der lebende Wächter war kein unfertiger Stein; er war kraftvoll und maskulin, mit dicken Augenbrauen, hohen, ausgeprägten Wangenknochen und einem eckigen Kinn. Für sich genommen erinnerte sie sein Gesicht an die antiken Bildnisse, die sie auf fremdländischen Münzen und den Statuen toter Krieger gesehen hatte, aber in Kombination mit den Hörnern und dem Aufblitzen von scharfen Raubtierzähnen machten seine klassischen Gesichtszüge deutlich, dass der Mann das Biest nicht beherrschte, das direkt unter der Oberfläche lauerte.
Brustplatte und Tunika ließen einen großen Teil seines muskulösen Oberkörpers frei, und seine gebräunte Haut sah im Kerzenlicht aus wie Bronze. Mikki ließ den Blick über seinen Körper wandern. Obwohl sie wusste, was sie sehen würde, stockte ihr angesichts der Realität kurz der Atem. Seine Beine waren mit dunklem Fell überzogen, und statt Füßen hatte er gespaltene Hufe.
Er war die Personifizierung animalischer Kraft, und obwohl seine Haltung nichts Bedrohliches an sich hatte, war die Aura gefährlicher Wildheit fast greifbar. Mikki schauderte und zog die Decke fester um sich.
»Es wird langsam kalt«, sagte er so sanft wie möglich. »Ich hätte Euer Essen drinnen am Kamin anrichten lassen sollen.«
»Ich … ich mag es hier draußen«, stammelte sie.
»Wirklich? Oder seid Ihr nur
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