Göttin der Rosen
barsch.
»Oh, okay«, murmelte Mikki. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, wollte aber höflich sein. »Trotzdem möchte ich mich für …«
»Tut das nicht!«
Die Heftigkeit seines Befehls traf sie wie ein Schlag, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Hekates Zusicherung, dass der Biestmann ihr nichts antun würde, erschien ihr plötzlich wie ein hohles Versprechen. Mikki presste die Hände auf die Armlehnen ihres Stuhls und zog die Beine an, bereit, beim ersten Anzeichen von Gefahr aufzuspringen und in ihr Zimmer zu laufen. Vielleicht würde er den Palast nicht betreten. Vielleicht konnte sie um Hilfe rufen und …
»Bitte vergebt mir. Offenbar habe ich Euch erneut geängstigt. Das war nicht meine Absicht. Es ist nur so, dass Eure Dankbarkeit nicht angemessen ist. Was ich für Euch getan habe, gehört zu meiner Pflicht als Wächter. Deshalb hat Hekate mich in ihren Dienst genommen. Versteht Ihr das?«
Er versuchte offensichtlich, seine Stimme weicher und weniger bedrohlich klingen zu lassen, und sie wusste das Bemühen zu schätzen, auch wenn es nur teilweise von Erfolg gekrönt war. Statt gleich zu antworten, löste Mikki erst ihren Klammergriff um die Stuhllehnen und hob mit beiden Händen den Kelch an ihre Lippen. Nachdem sie sich mit Hilfe des Weins ein wenig beruhigt hatte, starrte sie erneut in die Dunkelheit. Seine Anwesenheit war noch um einiges beängstigender, weil sie ihn nicht sehen konnte und all die grässlichen Details seiner Gestalt ihrer überschäumenden Phantasie überlassen waren.
»Ich versuche, es zu verstehen, aber das ist nicht so leicht. Vor allem, wenn ich nicht sehen kann, mit wem ich rede.«
Einen langen Moment passierte nichts. Doch dann trat er plötzlich aus der Dunkelheit. Der Kristallkelch glitt ihr aus den Fingern und zerschellte auf dem Marmorboden. Er machte eine Bewegung, als wollte er näher kommen, und in einem plötzlichen Adrenalinrausch sprang Mikki so hastig auf die Beine, dass der Stuhl umkippte. Kristallscherben knirschten unter ihren Füßen.
Sofort blieb er stehen. »Seid vorsichtig, wohin Ihr tretet. Das Glas kann durch die Sohlen Eurer Pantoffeln schneiden.« Die Worte waren sicher freundlich gemeint, aber aus seinem Mund klangen sie wie eine Drohung.
Mikki konnte nicht atmen. Ihre Stimmbänder gehorchten ihr nicht mehr. Sie konnte die Kreatur vor ihr nur stumm anstarren. Dann seufzte er, und in diesem traurigen, wortlosen Laut hörte sie das Echo eines vertrauten Brüllens. Diese kleine Erinnerung durchbrach ihre Panik und machte es ihr möglich, zittrig durchzuatmen.
»Ich bin nicht hergekommen, um Euch weh zu tun. Ihr habt nichts von mir zu befürchten, das schwöre ich Euch.«
Mikkis Lippen fühlten sich kalt und taub an, aber sie zwang sich zu sprechen. »Du bist die Statue. Die Statue aus den Rosengärten.«
Er nickte. »Ja, Ihr kennt mich nur so, wie ich in Eurer Welt war, in Marmor gefangen. Jetzt, wo ich wieder erwacht bin, habe ich erneut meine Position als Wächter des Reichs der Rose übernommen.«
Mikki fuhr sich mit zitternder Hand über die Stirn und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Der Biestmann trat einen Schritt auf sie zu, und das dumpfe Stampfen seiner Hufe zerriss die Stille wie ein Donnerschlag.
»Nein!«, rief sie erschrocken aus. Das Blut rauschte in ihren Ohren. »Bleib weg!«
Wie um zu zeigen, dass er ihr nichts tun wollte, hob er eine seiner riesigen Pranken, mit der Handfläche nach oben gewandt. Trotz ihrer enormen Größe wirkte sie auf den ersten Blick ganz normal, aber Mikki war sicher, im Kerzenlicht etwas gefährlich Scharfes aufblitzen zu sehen. Wie gebannt starrte sie die Hand an.
Er ließ sie sinken, und sie verschwand wieder im Schatten. »Ich habe nur befürchtet, dass Ihr in Ohnmacht fallen könntet.«
»Nein, nein, es geht mir gut«, erwiderte sie automatisch, bahnte sich aber vorsichtshalber einen Weg durch die Glasscherben, richtete ihren Stuhl auf und setzte sich schnell darauf, bevor ihre Beine unter ihr nachgaben. »Ich falle nicht in Ohnmacht.« Sie zwang sich, so normal wie möglich zu klingen. Er hatte gesagt, dass er ihr nichts antun würde. Hekate hatte gesagt, dass er ihr nichts antun würde. Und wenn er doch über sie herfallen sollte, würde es ihr ganz sicher nichts nützen, wenn sie hyperventilierte und ausflippte. Sie verschränkte die Hände, damit sie endlich zu zittern aufhörten. »Es geht mir wirklich gut«, wiederholte sie, mehr zu ihrer eigenen Beruhigung als zu
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