Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Cendrine hatte den Eindruck, eines seiner Augen sei blind, aber sie war nicht ganz sicher und wollte ihn auch nicht allzu unhöflich anstarren.
    Der Professor führte sie ins Innere seines Zeltes. In der Mitte stand ein breiter Tisch, auf dem ein hoher Stapel Karten lag, die sich zum Teil ineinandergerollt hatten. Unzählige Bücher waren zu Türmen gestapelt, dazwischen befanden sich Vermessungsgeräte, eine Schreibmaschine und ein Gewehr. In einer Ecke, hinter mannshohen Gebirgen vergilbter Folianten, standen ein ungemachtes Feldbett und eine Ablage mit schmutzigem Geschirr.
    Ein Eingeborener in weißer Tuchkleidung brachte einen Krug mit lauwarmem Wasser, aus dem der Professor seinen Gästen in tönerne Becher einschenkte. Cendrine trank dankbar und folgte Pinters Einladung, sich auf einem von mehreren Hockern niederzulassen, die rund um den Kartentisch standen.
    »Meine Schwester wollte Sie kennenlernen«, erklärte Elias, nachdem auch die Männer Platz genommen hatten.
    Pinter war sichtlich beeindruckt. »Tatsächlich?«
    Cendrine schenkte Elias einen giftigen Blick, dann wandte sie sich an den Professor. »Was mein Bruder sagt, ist nicht ganz richtig. Ich wollte mit jemandem sprechen, der mit Lord Selkirk zusammengearbeitet hat. Elias meinte, auf Sie könnte das zutreffen.«
    Der Professor wechselte einen kurzen Blick mit Elias, dann seufzte er gedehnt. »Wahrscheinlich wäre es auch zuviel verlangt, ernsthaft zu erwarten, eine junge Dame wie Sie hätte den Weg zu uns ins Nirgendwo zurückgelegt, um einen greisen Archäologen zu treffen.«
    Cendrine wußte, er wartete darauf, daß sie ihm widersprach, aber nach dem entsetzlichen Kamelritt war ihr nicht nach Komplimenten zumute. »Kannten Sie Selkirk persönlich?«
    Pinter nickte zögernd. »Darf ich fragen, was Ihr Interesse für ihn geweckt hat?«
    »Ich arbeite als Gouvernante im Haushalt der Familie Kaskaden. Sagt Ihnen der Name etwas?«
    »Titus Kaskaden? Aber ja doch, ich habe ihn vor einer halben Ewigkeit einmal kennengelernt, beim Sommerball des Gouverneurs, wenn ich mich nicht täusche. Sie hätten es hier unten wahrlich schlechter treffen können, mein Kind.«
    »Dann wissen Sie auch, daß die Kaskadens auf Selkirks Anwesen leben.«
    »Ich habe nicht mit Titus Kaskaden selbst darüber gesprochen, aber, ja, solche Dinge machen schnell die Runde. Vor allem, wenn man sich einmal in Selkirks Dunstkreis bewegt hat.«
    Cendrine wurde immer aufgeregter. Sie wünschte sich, Elias würde das Zelt verlassen, damit sie und der Professor unter vier Augen miteinander reden konnten. Aber es wäre zu unhöflich und undankbar gewesen, ihn hinauszuschicken. Außerdem wollte sie vermeiden, daß er anschließend mehr Fragen als nötig stellte. Wahrscheinlich war es ohnehin egal, wieviel er mit anhörte, er würde doch nichts damit anfangen können.
    Sie erklärte dem Professor, daß Titus sie beauftragt hatte, mehr über die Geschichte des Hauses und seinen Vorbesitzer herauszufinden. Zwar beschränke sich diese Forschung hauptsächlich auf die Bibliothek des Anwesens, doch nun, da sie einmal hier sei, habe sie die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen wollen, mit einem von Selkirks ehemaligen Kollegen zu sprechen.
    »Wissen Sie, wie Selkirk ums Leben kam?« fragte sie.
    »Ich nehme an, Sie kennen die Gerüchte«, erwiderte Pinter. »All dieses Gerede darüber, daß er seine Familie ermordet und sich schließlich selbst umgebracht hat. Hören Sie nicht auf diesen Unsinn – es sind Lügen. Ich kannte den Lord gut genug, um Ihnen versichern zu können, daß er niemals zu etwas Derartigem in der Lage gewesen wäre. Wußten Sie, daß er es war, der die ersten deutschen Lehrer nach Windhuk holte, lange bevor dort eine Schule eröffnet wurde? Und wußten Sie, daß er einmal im Jahr ein großes Kinderfest veranstaltete, um weißen und schwarzen Kindern die Möglichkeit zu geben, Freundschaft zu schließen? Solch ein Mann rottet doch nicht die eigene Familie aus! Er war derart verliebt in seine Töchter, vor allem in die kleinste … Nein, beim besten Willen, er hat diese Dinge nicht getan.«
    »Wer dann?«
    »Die Aufständischen. Die Herero. Nichts für ungut, Elias, ich weiß, daß Ihre Frau eine Herero ist … aber das ändert nichts daran, daß die Rebellen die ganze Familie Selkirk abgeschlachtet haben.«
    »Waren Sie dabei, als die Soldaten das Haus betraten?«
    »Nein. Ich war hier. Das heißt, genaugenommen etwa hundertfünfzig Kilometer weiter südlich. Damals haben wir

Weitere Kostenlose Bücher