Göttin der Wüste
den Schweiß von der Stirn. »Die Ausgrabungen werden von mehreren Wissenschaftlern geleitet, von denen die meisten alt genug sein dürften, um deinen Lord noch gekannt zu haben. Ich werde dich einem Mann namens Pinter vorstellen, Professor Pinter. Er war lange Zeit hier unten, ging dann nach London ans British Museum, kehrte aber schließlich zurück, angeblich weil er die Wüstenluft vermißt hat. Weiß der Teufel. Auf jeden Fall sollte er dir weiterhelfen können.«
Cendrine hatte Elias während des Ritts erzählt, daß das Haus der Kaskadens von Selkirk persönlich erbaut worden war. Von Titus Kaskaden habe sie den Auftrag erhalten, neben ihrer Arbeit als Gouvernante in der Bibliothek ein wenig Ahnenforschung zu betreiben; außerdem, so schwindelte sie, wolle Titus mehr über das Gebäude und seinen früheren Besitzer erfahren.
Das Ganze war natürlich eine äußerst fade Ausrede, und sie zweifelte nicht, daß Elias sie sogleich durchschaute – zumal sie offenließ, weshalb sie solche Eile hatte, Selkirks Nachfolger kennenzulernen. Sie war Elias dankbar, daß er trotzdem keine weiteren Fragen stellte und sie in ihrem wunderlichen Bestreben gewähren ließ. Vielleicht glaubte er, ihr das schuldig zu sein.
Am Tor wurden sie von bewaffneten Wächtern aufgehalten, doch als die Männer – drei Deutsche, ehemalige Fremdenlegionäre, wie Cendrine bald darauf erfuhr – Elias erkannten, durften die beiden passieren. Ihre Kamele wurden von dienstbeflissenen Stalljungen zu einer künstlich angelegten Tränke gebracht.
Elias führte Cendrine über ein Gewirr von befestigten Wegen weiter nach Osten. Die meisten dieser Pfade verliefen zwischen tiefen Ausgrabungslöchern und waren so schmal, daß sie kaum nebeneinander gehen konnten. Cendrine hatte mehrfach mit Schwindel zu kämpfen, wenn sich rechts und links von ihr metertiefe Gruben auftaten, an deren Grund Farbige und Weiße einträchtig mit Schaufeln, Balken und Holzpflöcken hantierten. Wo noch keine Löcher klafften, wurden bereits Vermessungen angestellt, Skizzen angefertigt und Vorarbeiter in die bevorstehenden Grabungsarbeiten eingewiesen. Aus allen Richtungen ertönten Rufe und Anweisungen in einer Vielzahl von Sprachen, in der Regel wohl Khoi, oft aber auch auf englisch, deutsch oder im Kauderwelsch der Buren.
Ganz kurz blitzte das Bild des Termitenbaus in Cendrines Erinnerung auf, verblaßte aber bald, als sie sich einem khakifarbenen Zelt näherten, so groß wie ein kleines Haus.
»Professor?« rief Elias, noch bevor sie die Eingangsplane erreichten. »Professor Pinter?«
Im Inneren raunzte jemand etwas, das für jedermann, ganz gleich, welche Sprache er sprach, unverständlich gewesen wäre. Sekunden später wurde die Plane beiseite gerissen, und ein Mann blinzelte ins Freie. Seine Gesicht blieb abweisend, fast wütend, bis er Elias erkannte. Sein Zorn schmolz dahin, und ein breites Lächeln erschien auf seinem braungebrannten Gesicht.
»Elias Muck«, sagte er erfreut. Er sprach den Namen englisch aus, doch wie sich zeigte, war sein Deutsch ganz hervorragend: »Wen haben Sie uns denn da mitgebracht, Elias?«
»Meine Schwester, Professor. Cendrine Muck. Sie besucht mich für einige Wochen … oder Tage.« Dabei wechselte er einen unsicheren Blick mit Cendrine, die nicht darauf einging. Statt dessen trat sie Professor Pinter entgegen und reichte ihm die Hand. Der ältere Mann deutete eine Verbeugung an und gab ihr einen galanten Handkuß. Cendrine spürte, daß sie rot wurde.
»Nicht nur die Franzosen haben gute Manieren«, sagte Pinter amüsiert, als er ihre Verwirrung bemerkte. »Oh, und die Deutschen, natürlich. Seien Sie mir in meiner bescheidenen Unterkunft willkommen, Fräulein Muck.« Er sprach es Fraulein Mack aus. »Im ersten Moment dachte ich schon, Ihr Bruder hätte seiner bezaubernden Nanna den Laufpaß für eine nicht weniger charmante junge Dame gegeben.« An Elias gewandt fügte er mit einem feinen Lächeln hinzu: »Darf ich annehmen, daß Sie uns nun des öfteren in Begleitung gleich zweier wunderschöner Damen beehren werden, Elias? Die Männer werden eifersüchtig sein – von mir selbst ganz zu schweigen.«
Pinter mochte Anfang Sechzig sein, doch die Art wie er sich bewegte, war die eines zwanzig Jahre jüngeren Mannes. Nur sein Gesicht offenbarte deutlich sein Alter, faltig und sonnengegerbt kündete es von einem Leben in der Wüstenhitze. Seine Lippen waren rissig und farblos, sein weißes Haar auf Fingerbreite kurzgeschoren.
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