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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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unteren Angel hing, und stöberte darin herum. Elias stupste Cendrine unter dem Tisch mit dem Knie an und verdrehte die Augen. Sie lächelte ihm schulterzuckend zu.
    Nach einer Weile zog Pinter aus dem Schrank einen Stapel Papier, offenbar Karten, an denen die Witterung alles andere als spurlos vorübergegangen war. Er blätterte scheinbar ziellos darin herum, dann hob er erfreut die Augenbrauen und zerrte eine einzelne Karte zwischen den übrigen hervor. Lächelnd kehrte er damit zurück zu den Geschwistern. »Wenn es Ihre geschätzte Gänsehaut fördert, dann, bitte, behalten Sie das Ding. Selkirks Ausgrabungsstelle ist irgendwo darauf verzeichnet.«
    Cendrines Finger zitterten unmerklich, als sie die Karte entgegennahm. »Sie brauchen sie nicht mehr?«
    »Wenn sie statt dessen einem so ehrenwerten Zweck wie Ihrer Unterhaltung dienlich sein kann, weshalb sollte sie dann in meinem Schrank verrotten? Ich bin zu alt, um mich noch mit dem Ballast des vergangenen Jahrhunderts herumzuschlagen. Was Sie dort draußen gesehen haben, diese Ausgrabungsstätte, ist mein letztes Werk. Eines Tages werde ich in einer der Gruben tot umfallen, und alles, was den anderen zu tun bleibt, ist, wieder genügend Sand hineinzuschaufeln, damit die Hyänen nicht an meinem zähen Leder ersticken.«
    Cendrine verzog scheu die Mundwinkel. Schüchternheit würde ihm besser gefallen als übertriebene Heiterkeit.
    »Die Karte stammt noch von Selkirk selbst«, sagte Pinter. »Ich hab’ sie in seinen Unterlagen gefunden, einige Jahre nach seinem Tod. Schauen Sie nur nach, Sie werden den Eintrag ganz bestimmt finden.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und wenn der alte Kaskaden doch noch auf die Idee kommen sollte, unter die Schatzgräber zu gehen, dann, zum Teufel, geben Sie ihm das Ding! Er wird bestimmt Ihr Gehalt verdoppeln. Trinken Sie einen auf mein Wohl, wo immer ich dann sein mag.«
    »Sie sind sehr freundlich, Professor Pinter.«
    »Erzählen Sie das meinen Arbeitern hier im Lager. Möglicherweise sind die anderer Ansicht.«
    Elias streckte die Hand nach der Karte aus, aber Cendrine tat, als hätte sie es nicht bemerkt, und behielt sie bei sich. Statt dessen fragte sie den Professor: »Wie ging es mit Selkirk weiter, nachdem er aus der Kalahari zurückkehrte? Baute er gleich darauf das Haus in den Auasbergen?«
    »Nein«, erwiderte Pinter kopfschüttelnd. »Die Arbeiten daran begannen schon früher, zwei, drei Jahre vor seiner Rückkehr.«
    Cendrine dachte nach und kam verwundert zu dem Schluß, daß dies Selkirks Eintragungen in seinem Buch widersprach. Doch auch Pinter konnte nicht jedes Detail kennen.
    Sicherheitshalber fragte sie: »Wissen Sie das ganz genau? Nach allem, was ich in der Bibliothek fand, wurde das Haus erst erbaut, nachdem Selkirk die Grabungen in der Kalahari aufgegeben hatte.«
    Der Professor blieb beharrlich. »Nein, nein, da bin ich sicher. Ich kannte noch einige der Vorarbeiter, auch einen der Architekten, die an dem Bau beteiligt waren. Und ich weiß, daß sie mit ihrer Arbeit begannen, lange bevor Selkirk seine Expedition abbrach.«
    Falls dem tatsächlich so war, stimmte irgend etwas nicht. Sie war sich noch nicht im klaren, was es war – zu groß war die Fülle der neuen Hinweise –, aber etwas sagte ihr, daß sie gerade dabei war, auf etwas wirklich Wichtiges zu stoßen.
    »Verstehe ich Sie richtig?« hakte sie noch einmal nach. »Selkirk hielt sich noch mehrere Jahre in der Wüste auf, obwohl sein Haus bereits im Bau war?«
    »So ist es.«
    Konnte das bedeuten, daß es eine zweite Expedition in die Kalahari gegeben hatte? Eine, die so geheim war, daß Selkirk sie nicht einmal seinem Tagebuch anvertraut hatte?
    »Wußten Sie nicht, daß Selkirk die archaischen Fundstücke erst nachträglich in das Haus einarbeiten ließ?« fragte Pinter.
    »Nein«, sagte Cendrine verwirrt, »das ist mir neu.«
    »Es muß eine ganze Menge Arbeit gewesen sein – und Unsummen verschlungen haben –, all diese Steine im nachhinein in die Mauern einzupassen.«
    War das der Schlüssel zum Geheimnis? Erneut versuchte sie, die Chronologie der Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen: Erst war Selkirk in die Kalahari gezogen und hatte die Ruinen Henochs entdeckt; daraufhin war er zurückgekehrt und hatte den Bau des Anwesens in Auftrag gegeben; dann aber, als die Arbeiten schon begonnen hatten, war er möglicherweise ein zweites Mal aufgebrochen und hatte – offenbar erst nach zwei oder drei Jahren, wenn Pinters

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