Göttin der Wüste
daß ich Sie bemitleide? Ist es das?« Sie funkelte ihn wütend an und ballte die Fäuste – noch eine hilflose Geste, über die sie sich ärgerte. »Soweit ich mich erinnern kann, wollten Sie doch hierherkommen, oder? Soldat mit Leib und Seele, war es nicht so?«
Valerian hielt ihrem Blick einige Atemzüge länger stand, dann wandte er sich ab und blickte durch den Einschnitt zwischen den Baracken hinaus auf den Hof. Die Sonne war untergegangen, und überall eilten jetzt Männer mit Pechfackeln umher. Es fiel Cendrine immer schwerer, Valerians Mienenspiel zu erkennen.
»Sie haben recht«, sagte er leise. »Wenn es Ihnen nur darum geht, das zu hören, dann, ja, Sie haben recht. Es war ein Fehler hierherzugehen, für mich genauso wie für Sie.« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Die Wüste, dieses ganze Land, sie sind nicht für uns gemacht. Alles, was wir hier tun können, ist sterben.«
Professor Pinter hatte ganz ähnliche Worte gebraucht. Sie hätte nie geglaubt, einmal etwas Derartiges von Valerian zu hören. Er war erst zwanzig Jahre alt, aber so, wie er jetzt vor ihr stand, kam er ihr vor wie ein Greis, müde und besiegt.
»So kann man das nicht sehen«, sagte sie, und in ihrer Stimme war eine Sanftmut, die sie selbst überraschte. »Es ist zu leicht, dem Land die Schuld zu geben. Wir sind hergekommen, und wir hätten wissen müssen, was uns erwartet.« Dann fiel ihr ein, daß Valerian im Gegensatz zu ihr nie eine Wahl gehabt hatte: Er war in Südwest geboren. Doch auch das änderte nichts daran, daß es ihr falsch vorkam, das eigene Scheitern einem Stück Wüste zuzuschieben. »Wir sehen in diesem Land nur das, was wir sehen wollen«, fügte sie schließlich hinzu.
»Glauben Sie?« Sein Gesicht lag jetzt beinahe völlig im Dunkeln, nur der ferne Schein der Pechfackeln umrahmte sein Profil. Noch immer schaute er sie nicht an. »Ich weiß nicht, vielleicht ist das richtig.« Er klang sehr niedergeschlagen, und Cendrine wurde klar, daß sie nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, was er durchgemacht hatte.
»Sie waren dabei!« sagte sie plötzlich. »Sie haben gegen die Herero gekämpft. Sie haben Ihre Eltern belogen, als Sie ihnen erzählten, es habe hier keine Kämpfe gegeben.«
Er nickte stumm.
»Und es war anders, als Sie es sich vorgestellt haben.«
Mit einem Ruck wirbelte er herum und umfaßte mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn, so fest, daß es weh tat. Trotzdem wehrte sie sich nicht, blieb einfach stehen.
»Das Töten ist immer anders, als man es sich vorstellt, Cendrine«, fauchte er bösartig. »In dem Moment, in dem man es tut, ist es leicht. Viel zu leicht. Sie nehmen einem anderen das Leben und denken doch nur an Ihr eigenes – daran, daß der andere Ihnen nichts mehr anhaben kann, daran, daß Sie Erfolg hatten. Sie legen nicht auf einen Menschen an, um ihn zu erschrecken, und Sie rammen ihm kein Bajonett ins Herz, um ihm angst zu machen. Sie wollen ihn töten, und es ist Ihnen gelungen. Sie fühlen sich gut, Sie fühlen sich großartig. So ist es, zu töten, und nicht anders.«
»Und danach?« fragte sie ruhig.
Er zögerte, dann ließ er sie los. »Das Danach ist eine andere Sache.«
Nicht die Wüste hatte ihn verändert. Es ging ihm längst nicht mehr um Stolz und Vaterland, nur noch um die Frage nach dem Sinn. Warum war er hier? Warum kämpfte er gegen Menschen, in deren Land seine Vorfahren eingedrungen waren? Allmählich begann sie, das Ausmaß seines Dilemmas zu begreifen. Valerian war Soldat, und er haßte jeden Augenblick seines Daseins.
»Warum gehen Sie nicht fort?« fragte sie nach einer Weile. »Ihr Vater könnte dafür sorgen, daß Sie entlassen werden. Er könnte –«
»Nein«, fiel er ihr ins Wort. »Ich könnte Mutter nie wieder unter die Augen treten.«
»Ist das denn so wichtig für Sie? Ihr Vater hat die Armee doch selbst verlassen. Ihm ging es damals genauso wie Ihnen heute.«
»Es würde nichts ändern. Ein anderer käme und würde meinen Platz einnehmen.«
»Wollen Sie mir erzählen, es ginge Ihnen nur ums Prinzip?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie können das nicht verstehen. Es ist ein Kreis ohne Ende.«
Warum nur benutzten hier alle immer wieder die gleichen Worte für unterschiedliche Dinge? Pinter, Nanna, Valerian – als hätten sie sich alle miteinander abgesprochen. Dieses Land ist nichts für uns. Ein Kreis ohne Ende. Sie wollte all das nicht mehr hören. Begriff denn niemand, daß es nur um einen selbst ging, daß alles, was
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