Göttin der Wüste
dunkel, als sie die Festung endlich erreichten.
Und eine Festung war es in der Tat. Cendrine hatte ein Palisadenfort erwartet, einen oder zwei Türme mit einem Holzwall und einigen Gebäuden. Tatsächlich aber schälte sich aus dem Zwielicht ein gewaltiger Komplex aus Stein, mit hohen Wehrgängen und Aussichtstürmen an jeder der vier Ecken. Ein fünfter Turm, ungleich höher, stand in der Mitte des Forts; auf seinen Zinnen wehte die deutsche Flagge. Vor dem Tor wimmelte es von Uniformierten, die eilig zwischen einer Vielzahl von Pferdekarren und Kamelen umherliefen. Es schien, als wären die Soldaten in Aufbruchsstimmung, und nur die wenigsten hatten einen Blick für die Karawane übrig.
Cendrines Überraschung wurde noch größer, als man sie und ihre Begleiter durch das große Eisentor ins Innere der Wehrmauern winkte. Der Hof der Anlage mochte etwa hundertfünfzig Meter im Quadrat messen. Ein Großteil wurde vom Exerzierplatz der Truppe eingenommen. Rechts vom Tor standen Baracken mit geteerten Dächern, die Unterkünfte der Soldaten. Im Zentrum erhob sich ein zweistöckiges Steingebäude, die Kommandantur, an die auch der hohe Turm grenzte. Mindestens zweihundert Soldaten hielten sich im Hof auf, einige in Reih und Glied, andere ungeordnet und mit allerlei Aufgaben beschäftigt. Viele schleppten Stapel von Gewehren und Säbeln hinaus aus dem Tor, wo sie auf die Planwagen und Karren verladen wurden.
»Wird das Fort aufgegeben?« wandte Cendrine sich an einen der Soldaten aus ihrem Begleittrupp.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte. Warten Sie.« Damit bückte er sich zur anderen Seite aus dem Sattel und hielt einen der vorbeieilenden Soldaten auf.
Wenig später wußte er, was geschehen war, und seine Erregung war ihm deutlich anzusehen. »Die Herero sind besiegt«, platzte es aus ihm heraus, als er sich wieder an Cendrine wandte. »Es hat eine Schlacht gegeben, am Fuß des Waterbergs. Die Aufständischen sind geschlagen.«
»Und wo wollen dann die Männer aus dem Fort hin?«
»Die Rebellen waren zuletzt auf der Flucht nach Osten. Sie hatten ihre Familien dabei. Als es zur entscheidenden Schlacht kam, schickten sie ihre Frauen und Kinder tiefer in die Wüste, damit sie unseren Leuten nicht in die Hände fallen. Wie es aussieht, marschieren diese Menschen immer weiter in die Kalahari, ohne Nahrung und ohne Wasser. Die Soldaten hier im Fort haben den Auftrag, sie zurückzuholen.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Liebe Güte, die Herero müssen uns für Bestien halten …«
Cendrine verzog das Gesicht. »Wir sind ihre Feinde, schon vergessen? Was hätten Sie mit Ihrer Frau gemacht, wenn Sie sich einer Übermacht von Herero gegenübergesehen hätten?«
»Das ist doch wohl ein Unterschied«, ereiferte sich der Soldat. »Die Herero sind Wilde. Barbaren. Wir Deutschen aber –«
Cendrine unterbrach ihn kühl. »Wir sind edel und anständig und kämen nie auf die Idee, unseren Status als Sieger für etwas anderes als die Verbreitung von Recht und Ordnung zu nutzen. Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?«
»Wir sind zumindest keine Halsabschneider wie diese Eingeborenen, Fräulein.«
»Irgendwo in diesem Lager gibt es jemanden, von dem ich so etwas schon einmal gehört habe.« Ohne den Soldaten weiter zu beachten, zügelte sie ihr Kamel und ließ es in die Hocke gehen. Nachdem sie abgestiegen war, hielt sie einen jungen Uniformierten auf, der in seinen Armen mehrere Gewehre hielt wie ein Bündel Brennholz.
»Entschuldigen Sie. Ich suche jemanden. Einen Mann namens Valerian Kaskaden.«
Der Soldat mit den Gewehren musterte sie von oben bis unten, als hielte er sie im ersten Moment für eine Halluzination. »Kaskaden, sagen Sie?«
Cendrine nickte ungeduldig.
»Sind Sie seine Frau?« fragte der Mann.
»Ich glaube kaum, daß Sie das etwas angeht.«
Der Soldat zuckte zusammen und straffte seine Haltung. »Natürlich nicht. Verzeihen Sie, Fräulein.«
»Also?«
»Warten Sie einen Augenblick.« Er machte kehrt und lief mit seinen Gewehren im Arm zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Cendrine blickte ihm hinterher, und schließlich sah sie ihn auf der anderen Seite des Platzes vor einer Gruppe von Soldaten stehenbleiben, deren Gesichter sie im Dämmerlicht und aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte.
Nur Sekunden vergingen, dann löste sich ein einzelner Mann aus der Gruppe und kam mit hastigen Schritten herübergelaufen »Das darf doch nicht wahr sein!« hörte sie
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