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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihn rufen. Es war Valerians Stimme, ohne Zweifel.
    »Gott im Himmel, sind Sie verrückt geworden?« entfuhr es ihm, als er vor ihr stand.
    Cendrine lächelte schief. »Genauso habe ich mir unser Wiedersehen vorgestellt.«
    Er grinste plötzlich, und ehe sie sich’s versah, hatte er sie schon herzlich umarmt. »Tut mir leid«, sagte er dann, »aber das mußte wohl sein.«
    Sie erwiderte sein Lächeln, jetzt um einiges versöhnlicher. »Hallo, Valerian.«
    »Was, zum Teufel, tun Sie hier? Ist zu Hause irgendwas –«
    »Nein, alles in Ordnung, keine Sorge.«
    Er sah ihr fest in die Augen, und einen Herzschlag lang überkam sie das Gefühl, einem ganz anderen Mann gegenüberzustehen. Er und Adrian waren Zwillinge, und ihre Ähnlichkeit war immer verblüffend gewesen; und doch war es nicht Adrian, den sie in seinen sonnenverbrannten Zügen zu erkennen glaubte. Valerian hatte sich seit seinem Besuch zu Weihnachten noch stärker verändert. Er sah älter aus, viel älter. Und reifer.
    Ein Bild aus der Bibel kam ihr in den Sinn: Lots Frau, die sich während des Untergangs von Sodom und Gomorra gegen den Willen Gottes umwendet, um einen Blick auf ihre zerstörte Stadt zu werfen – und zur Strafe dafür zur Salzsäule erstarrt. Valerian mochte äußerlich unversehrt wirken, aber unter der Oberfläche war auch er aus Salz. Er wirkte wie jemand, der Schlimmes mitangesehen hatte.
    »Was machen Sie hier?« fragte er noch einmal. Er hatte seine Stimme jetzt ein wenig gesenkt, dadurch klang sie merklich schärfer.
    »Ich habe gehofft, Sie könnten mir helfen«, sagte sie aufrichtig. Dabei war sie gar nicht mehr sicher, ob sie das wirklich wollte. Hier war alles viel größer und verwirrender, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte gehofft, unter vier Augen mit ihm sprechen zu können, hatte geglaubt, er würde schon einen Weg wissen, wie sie tiefer in die Wüste vordringen konnte. Jetzt aber kam ihr diese Idee mit einemmal sehr naiv vor.
    »Helfen?« fragte er verwirrt. »Wobei?«
    Cendrine schwieg und suchte nach den richtigen Worten, als Valerian plötzlich über ihre Schulter blickte und irgend etwas zu bemerken schien. Mit einem Ruck ergriff er ihren Unterarm und zog sie im Schutz der Kamele zu den Baracken hinüber.
    »Meine Vorgesetzten können uns sehen«, erklärte er im Gehen. »Sie sind die einzige Frau in diesem Fort, Cendrine. Wir werden uns nicht lange ungestört unterhalten können. Danach wird man Sie entweder unter Arrest stellen oder ins Eßzimmer des Kommandanten bestellen. So oder so werden Sie eine Menge Fragen beantworten müssen, und vielleicht ist es besser, wenn Sie erst einmal mir erzählen, was los ist.«
    Sie riß ihren Arm los, folgte ihm aber widerspruchslos, bis sie im Schatten zwischen den Baracken standen. Mehr als ein paar Minuten würden ihnen nicht bleiben. Wahrscheinlich sprach sich die Sensation, daß Valerian Kaskaden mit einer jungen Frau hinter den Unterkünften verschwunden war, bereits wie ein Lauffeuer herum.
    »Mein Hiersein hat nichts mit Ihrer Familie zu tun«, sagte sie.
    »Ihre Mutter hat mich freigestellt.«
    »Wofür?«
    »Um meinen Bruder zu besuchen?«
    »Ihren Bruder? Ist er denn hier im Fort?«
    »Er lebt an der Küste.«
    »Dann haben Sie irgendwo die falsche Abzweigung genommen.«
    »Sehr witzig.«
    Er warf einen knappen Blick um die Ecke des Gebäudes, schaute dann wieder zurück zu ihr. »Nun?«
    Sie hatte lange überlegt, wie sie es ihm am besten beibringen sollte, doch jetzt entschied sie sich, einfach geradeheraus die Wahrheit zu sagen. Zumindest einen Teil.
    »Ich muß in die Wüste. Weiter nach Osten.«
    »Natürlich«, sagte er ernst. »Wohin auch sonst?«
    »Ich mache keine Späße, Valerian«, entfuhr es ihr zornig.
    Er biß sich auf die Unterlippe und verdrehte die Augen. »Cendrine, verdammt noch mal, was ist los mit Ihnen?«
    »Ich kann es Ihnen nicht erklären. Sie müssen mir einfach vertrauen.« Sie kam sich vor wie ein kleines Kind, das gerade mit großem Ernst versuchte, seiner Mutter weiszumachen, daß es in Wahrheit der Weihnachtsmann gewesen war, der die Marmelade aus der Speisekammer gestohlen hatte. »Ich muß dort raus, an einen ganz bestimmten Ort. Und Sie sind der einzige, der mir dabei helfen kann.«
    Er schwieg für einen Moment und fixierte sie mit einem durchdringenden Blick. Dann schien er zu der Erkenntnis zu kommen, daß es ihr tatsächlich ernst war. Jetzt wirkte er fast erschrocken.
    »Ich habe einmal gehört, daß es wenig Sinn hat,

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