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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geschah, nur in einem selbst seinen Anfang nahm? Am liebsten hätte sie ihn angeschrien: Hör auf, den Umständen die Schuld zu geben! Du selbst bist es doch, der sie formt!
    Aber sie wußte auch, daß er so etwas im Augenblick nicht hören wollte. Und sie war nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich recht hatte. Es war anmaßend, sich ein Urteil über seine Motive zu erlauben.
    »Hören Sie, Valerian!« Sie ergriff seine Hand; seine Finger waren kalt und rauh. »Werden Sie mir helfen oder nicht?«
    Er schaute wieder hinaus auf den Hof, fast verwundert, daß noch immer keiner gekommen war, um nach ihnen zu suchen. Er begann jetzt tatsächlich, ihr leid zu tun, und eigentlich war es genau das, was sie hatte vermeiden wollen. Zudem bezweifelte sie, daß er wirklich Wert auf ihr Mitgefühl legte. Er war längst in seiner eigenen kleinen Welt gefangen, einem Kosmos, in dem sich Systeme aus Schuld, Verhängnis und einer bizarren Kategorie von Leid umkreisten, die er selbst nicht in Worte zu fassen vermochte.
    »Warten Sie hier«, sagte er nach kurzem Zögern, dann drückte er noch einmal ihre Hand und verließ die Schneise zwischen den Baracken, eine schmale Silhouette vor dem zuckenden Firmament der Pechfackeln.
    Cendrine sah ihm nach, wie er quer über den Hof zu einer Gruppe von Offizieren ging, die in ein erregtes Gespräch vertieft waren. Sie entdeckte auch die drei Händler, die mit ihr ins Fort gekommen waren. Sie standen etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt, links vom Tor, und feilschten mit einem Mann, der aussah wie ein Kompaniekoch. Ihre Kamele lagen einige Meter abseits neben einer Tränke, auch Cendrines Tier war dabei. Es hatte den Kopf erhoben, aber beide Augen geschlossen.
    Valerian unterbrach den Disput der Offiziere und redete auf sie ein. Dabei schaute er einige Male verstohlen zu Cendrine herüber. Plötzlich rollte eine Reihe Planwagen von rechts in ihr Blickfeld und versperrte ihr die Sicht auf die Männer.
    Im nachhinein war Cendrine nicht sicher, ob es Valerians Blicke gewesen waren, die sie alarmiert hatten, oder aber ein allgemeines Mißtrauen gegenüber diesem Ort und den Menschen, die hier lebten. Ohne nachzudenken verließ sie ihr Versteck zwischen den Häusern und lief im Schutz der Planwagen zu den Kamelen hinüber. Die Händler waren viel zu beschäftigt, um zu bemerken, wie Cendrine in den Sattel ihres Tieres stieg und es aufstehen ließ. Angespannt ritt sie Richtung Tor.
    Sie durchschaute Valerians Verrat im selben Moment, da der Fackelschein vom Tor auf ihre Züge fiel. Ein lauter Ruf hallte von der Offiziersgruppe herüber, und zwei der Männer setzten sich hastig in Bewegung. Valerian zögerte noch einige Herzschläge lang, dann lief er wortlos hinterher.
    Die Wächter waren mit Listen beschäftigt, auf denen sie irgendwelche Posten abhakten, die sich auf den Planwagen befanden. Deshalb reagierten sie zu spät auf den Zuruf der Offiziere. Bevor sie ihre Papiere sinken ließen und sich umschauten, hatte Cendrine ihr Kamel schon durchs Tor getrieben.
    Sie wußte, daß Valerian es nur gut mit ihr meinte. Wahrscheinlich war es wirklich zuviel verlangt, zu erwarten, daß er sie einfach hinaus in die Kalahari reiten ließ. Aber sie war von zu weit hergekommen, um sich nun alles zunichte machen zu lassen. Die Soldaten außerhalb des Forts hatten noch nichts von dem Aufruhr im Inneren mitbekommen, und so ließ Cendrine ihr Kamel an ihnen vorüberpreschen und schaute sich dabei angestrengt in der Dunkelheit um. Nur im Westen lag noch ein Streifen matter Helligkeit über dem Horizont. Die Fackeln beschienen lediglich jene Stellen des Lagers, wo Soldaten bei der Arbeit waren. Rechts von Cendrine war bereits ein Troß von Planwagen abfahrbereit gemacht worden; sieben Wagen standen in einer langen Reihe, mit zwei Pferden in jedem Gespann, die dösend auf das Signal zum Aufbruch warteten. Cendrine lenkte das Kamel in ihre Richtung.
    Wahrscheinlich gab es mindestens ein Dutzend hervorragender Fährtenleser im Fort, deshalb konnte sie es sich nicht erlauben, das Tier in die Hocke gehen zu lassen. Auf Höhe der Wagenreihe ließ sie sich einfach aus dem Sattel gleiten und fiel zwei Meter tief in den weichen Sand. Noch im Sprung gab sie dem Kamel einen harten Klaps aufs Hinterteil und hoffte, daß es darauf ebenso reagieren würde, wie ein Pferd es getan hätte. Und tatsächlich: Im Galopp sprengte es an den Wagen vorüber und hinaus in die Wüste, nach Osten, wo schon nach wenigen Metern das Land in

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