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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bald.«
    »Sagen Sie das, um mir angst zu machen?«
    »Würde das etwas ändern? Sie sollen nur verstehen, in was für einer Umgebung Selkirk sich angesiedelt hat. Damals, als wieder einmal Aufstände unter den Herero ausbrachen, kamen die Mutigsten unter ihnen auch in dieses Tal, um Selkirk und seine Leute von hier zu vertreiben. Und sie hätten ihn sicher getötet, hätten sie die Möglichkeit dazu gehabt.«
    »Hat er sich gewehrt?«
    »Das mußte er nicht. Die Eingeborenen suchten das Weite, sobald sie auch nur in die Nähe dieses Tals gekommen waren. Etwas erschreckte sie so sehr, daß sie die Flucht ergriffen.«
    »Sie wollen es spannend machen, nicht wahr?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war ein Wirbelsturm«, sagte er trocken. »Ein Wirbelsturm, der wie ein gigantischer Strudel im Tal tobte, den Trichter irgendwo in den Wolken, und unten, an seinem Fuß, dieses Haus. Es lag genau im Zentrum des Sturms.«
    »Das mag ungewöhnlich sein, aber was –«
    »Es war kein gewöhnlicher Sturm. Wenigstens behaupten das die Eingeborenen.«
    »Ich kenne mich nicht aus mit den Sitten der Herero und San und wie sie alle heißen mögen«, sagte Cendrine zweifelnd, »aber behaupten diese Menschen nicht von allem, was sie nicht verstehen, daß es ungewöhnlich oder von den Göttern gesandt sei?«
    »Unterschätzen Sie diese Menschen nicht. Sie kennen dieses Land besser als jeder andere, und mit ihm seine Tücken und Gefahren. Wirbelstürme sind hier zwar selten, aber es gibt sie, und zumindest einige unter den Aufständischen von damals müssen schon mal einen erlebt haben. Trotzdem – dieser war anders. Es gibt ganze Legenden, die sich um diesen einen Sturm ranken.«
    »Sie glauben also daran?«
    »Es hat diesen Wirbelsturm gegeben.«
    »Und wenn schon?« fragte sie und begriff noch immer nicht, warum er ihr das alles erzählte. »Naturphänomene kommen vor, überall auf der Welt. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Stürme. Selkirk hat großes Glück gehabt, wenn ein Tornado die Eingeborenen vertrieben hat.«
    Adrian runzelte die Stirn. »Ich bin nicht sicher, ob man in diesem Fall wirklich von Glück sprechen kann.«
    »Das Haus scheint den Sturm gut überstanden zu haben. Hier drinnen müssen die Menschen doch sicher gewesen sein.«
    »Sicher vor dem Sturm, ja. Und sicher vor den Herero. Aber keineswegs sicher voreinander.«
    Sie hob eine Augenbraue. »Was meinen Sie damit?«
    »Der Aufstand in dieser Gegend wurde von britischen Einheiten niedergeschlagen, nur einen Tag nachdem er ausgebrochen war. Die Soldaten wußten, daß Selkirks Anwesen auf der Marschroute der Rebellen lag, deshalb sandte man einen kleinen Trupp hierher, um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung war. Sie stellten fest, daß die Gärten verlassen waren. Auch die Wächter, die Selkirk angeheuert hatte, waren verschwunden. Später stellte sich heraus, daß die Männer geflohen waren, als der Wirbelsturm herantobte. Selkirk, seine Familie und ein paar Diener waren während des Unwetters allein im Haus gewesen. Die Soldaten versuchten hineinzugehen, aber die Türen waren verschlossen, und niemand antwortete auf ihre Rufe. Daraufhin wurde das Portal aufgebrochen und das Haus von oben bis unten durchsucht. Als erstes entdeckte man die Leichen der Diener. Sie lagen blutüberströmt auf den Gängen. Selkirks Frau wurde schnell gefunden – man hatte sie im Salon ermordet. Die Töchter hatten sich in allen möglichen Winkeln versteckt, doch auch sie hatte der Mörder schließlich aufgestöbert und niedergemacht. Selkirk selbst galt erst als verschwunden, doch dann fand man ihn erhängt im Kamin seines Arbeitszimmers. Er muß aufs Dach geklettert sein, ein Seil befestigt und durch den Kamin nach unten geworfen haben. Dann ist er wieder hinabgegangen, ist durch die Feuerstelle in den Kamin gestiegen und hat sich die Schlinge um den Hals gelegt.«
    Cendrine sah Adrian erschüttert an. »Sie glauben, daß er es war? Er hat seine Frau, die Kinder und die Dienstboten getötet und sich am Ende selbst gerichtet?«
    Er nickte. »Offiziell waren es natürlich die Herero. Ein englischer Lord tut so etwas nicht, gewiß kein so angesehener wie Selkirk. Aber bei den Soldaten, die die Leichen entdeckten, war ein Fährtensucher der San. Und obwohl er bald darauf spurlos verschwand, waren die Männer, die ihn zum Schweigen brachten, nicht schnell genug. Vorher konnte er noch einigen anderen seines Volkes davon erzählen, und sie trugen die Geschichte weiter. Heute wissen viele

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