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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sorgen, daß in allen Glaskästen an den Wänden Kerzen oder Öllampen angezündet wurden. Sie war den Dienstboten heute erst vorgestellt worden und hatte nicht gleich mit einer Bitte an sie herantreten wollen; nach ihrem Irrweg durchs Dunkel aber war sie entschlossen, gleich am nächsten Morgen alles Nötige in die Wege zu leiten. Seltsam, daß die Hausherrin nicht daran gedacht hatte. Aber angesichts des Vorfalls im Musikzimmer schien sie beileibe andere Sorgen zu haben als die Beleuchtung vor Cendrines Zimmertür.
    Cendrine drückte die Klinke hinunter und trat ein. Sie hatte nicht abgeschlossen, weil sie annahm, daß das in einem Haus wie diesem nicht nötig war.
    Im Kamin flackerte ein kleines Feuer. Die Flammen warfen rotgelbe Schemen an die Wände. Es war warm hier drinnen, beinahe unangenehm. Sie würde eines der Fenster öffnen müssen, bevor sie zu Bett ging, sonst würde sie kein Auge zutun.
    Sie durchquerte das Zimmer und stellte den Kandelaber auf ihren Nachttisch, darauf bedacht, ihn nicht zu nah an die Seidenbahnen des Baldachins zu rücken. Dann begann sie, das Oberteil ihres Kleides aufzuknöpfen.
    »Bitte«, sagte eine sanfte Stimme vom Kamin, »lassen Sie das. Ich will Sie nicht in eine unziemliche Lage bringen.«
    Mit einem erschrockenen Keuchen raffte sie ihr Dekolleté zusammen und wandte sich empört dem Eindringling zu. Adrian Kaskaden saß in einem der beiden Ohrensessel, der mit der Lehne zur Tür stand; deshalb hatte sie ihn beim Eintreten nicht gesehen.
    »Dies mag das Haus Ihrer Eltern sein, Herr Kaskaden, aber ich denke dennoch, daß Sie kein Recht haben, in –«
    »Entschuldigen Sie bitte, Sie müssen näher herankommen. Dort, wo Sie stehen, ist es zu dunkel. Ich kann nicht sehen, wie sich Ihre Lippen bewegen.«
    Sie zögerte, tat dann aber, was er sagte. Dabei knöpfte sie das Kleid wieder zu.
    »Nehmen Sie Platz«, bat er und wies auf den leeren Sessel.
    »Ich würde jetzt gerne zu Bett gehen«, erwiderte sie und blieb stehen. Sie bemerkte, daß sie lauter und betonter sprach als sonst, als spiele das in Anbetracht seiner Taubheit eine Rolle.
    »Ich werde Sie nicht lange aufhalten.« Der Blick seiner hellblauen Augen war stechend und fest auf ihr Gesicht gerichtet. Sie empfand das als unangenehm, sah aber ein, daß er sie nur anstarrte, um zu verstehen, was sie sagte.
    »Was wollen Sie?«
    »Mit Ihnen reden, natürlich.«
    »Das hätten wir im Musikzimmer tun können. Warum schleichen Sie sich deshalb hier ein?«
    »Ich bin nicht geschlichen. Es war ja ohnehin niemand da, der mich hätte hören können.«
    Er machte sich über sie lustig, und allmählich wurde ihr Mitgefühl zu Wut. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich?
    »Bitte verlassen Sie mein Zimmer. Wir können morgen reden, wenn Sie dann noch Wert darauf legen.«
    »Sie mißverstehen mich, Fräulein Muck«, sagte er. Er sprach ruhig und sachlich, gar nicht wie jemand, der unfähig war, seine eigene Stimme zu hören. »Ich möchte Sie nicht verärgern, wirklich nicht. Es ist nicht meine Art, hübsche junge Damen zu necken und mir einzubilden, sie könnten deshalb etwas für mich empfinden, so wie mein Bruder es tut. Wenn Sie wirklich möchten, daß ich gehe, gut, dann gehe ich.«
    Er stand auf und griff nach der Oboe, die neben den Sesseln lehnte.
    Cendrine sah ihn einige Schritte in Richtung Tür machen, dann ging sie ihm resigniert nach und hielt ihn am Arm zurück. »Warten Sie. Ich bin ohnehin noch nicht müde.« Sie trat zurück an den Sessel, ließ sich hineinfallen und wies auf jenen, in dem er gesessen hatte.
    »Setzen Sie sich wieder.«
    »Sind Sie sicher?« fragte er und klang jetzt beinahe scheu. Sie fragte sich, welches von beidem die Maske war: seine Schüchternheit oder die kühle Ruhe, die er zuvor zur Schau getragen halte.
    »Nun setzen Sie sich schon. Sie haben Glück, daß ich so neugierig bin.«
    Er kam zurück, zögerte noch einen Augenblick, dann nahm er Platz. Die Oboe legte er vorsichtig auf den runden Tisch zwischen ihnen. Das Kaminfeuer spiegelte sich auf der dunkel polierten Mahagoniplatte.
    »Also?« fragte Cendrine, die langsam zu jener eingeübten Strenge fand, die zum Rüstzeug jeder Gouvernante gehörte. Adrian war drei Jahre jünger als sie, neunzehn, und obwohl er natürlich nicht wirklich ihr Schüler hätte sein können, versuchte sie doch, sich das einzureden. Das half ihr oft, wenn Menschen sie verunsicherten.
    »Ich wollte Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte er.
    »Das muß eine

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