Göttin der Wüste
ziemlich wichtige Geschichte sein, wenn Sie Ihnen um diese Uhrzeit einfällt.«
Er schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht.« Er lächelte, als er das Unverständnis in ihrem Blick bemerkte. »Nein, wirklich nicht. Ich hatte nur Lust, Ihnen davon zu erzählen, sonst nichts. Ebensogut hätten wir morgen oder in einem Monat darüber reden können.«
»Ich höre.«
»Hat meine Mutter Ihnen erzählt, wem dieses Haus gehörte, bevor meine Eltern hierher kamen?«
»Diesen englischen Lord meinen Sie?«
»Lord Luther Selkirk, ganz genau. Er lebte hier mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Er hat dieses Haus gegen aller Widerstände aus dem Boden gestampft. Damals waren die Briten noch die vorherrschende Macht im Süden Afrikas. Zwar gab es hier eine Reihe deutscher Missionsstationen, aber ebenso englische, holländische und sogar eine finnische, oben in Ovambo-Land.«
»In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts vereinnahmten die Briten das Gebiet um Walvis Bay«, unterbrach ihn Cendrine und gähnte. »Ich kenne die Geschichte Südwests. Fünf Jahre später erwarb ein Bremer Kaufmann Gebiete von den Nama, erst nur einige Hektar, dann immer größere Flächen. Das Deutsche Reich war gezwungen, die Gebiete unter seinen Schutz zu stellen, wenn es sie nicht an die Engländer verlieren wollte, und so begann offiziell die deutsche Besiedlung dieses Landes. Wenn es nur das ist, was Sie mir erzählen wollen, muß ich Sie enttäuschen – all das habe ich schon in diversen Büchern gelesen.«
»Darum geht es nicht«, erwiderte er kopfschüttelnd. »Das alles sind nur die Eckpunkte dessen, was hier geschah. Vor 1878, vor der Erklärung, Walvis Bay sei fortan ein britischer Stützpunkt, unterstand dieses Land nur jenen Menschen, die hier seit Jahrtausenden leben. Die ersten Europäer waren die Missionare, aber niemand hatte sie gebeten, hierher zu kommen, am wenigsten die Herero, in deren Einflußgebiet sie sich ansiedelten. Schon um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatten Herero eine der ersten Missionsstationen dem Erdboden gleichgemacht, genau hier, wo später Windhuk entstehen sollte. Auch die ersten englischen Siedler verloren ihr Leben, zumindest alle, die sich nicht nach Osten durch die Kalahari nach Betschuanaland retten konnten. Aber ich bezweifle, daß das irgendwem gelungen ist. Kein Europäer überlebt länger als ein, zwei Tage in der Kalahari. Nicht einmal die Herero gehen dorthin. Die Kalahari ist Buschmann-Land, das Gebiet der San.«
»Ich dachte, die San seien friedlich?«
»O ja, das sind sie. Nicht sie töten Eindringlinge, das übernimmt die Kalahari selbst. Es gibt kaum eine Wüste, die gnadenloser ist. Riesige Salzseen bis zum Horizont, endlose Dünenmeere und kein Tropfen Wasser. Kein Ort für uns Europäer.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus.«
»Das dachte ich mir.«
»Wie gesagt, als Selkirk und seine Familie sich hier ansiedelten, gab es noch keine deutsche oder britische Ordnungsmacht. Er baute dieses Anwesen mitten ins Nirgendwo, ohne Schutztruppen außer jenen, die er selbst anheuerte und unter Waffen stellte. Es gab noch keine Bahnverbindung zum Meer, nur Kamelkarawanen mitten durch die Weiten der Namib. Trotzdem ist es ihm gelungen, diesen Bau zu errichten, auch mit Hilfe der Eingeborenen, die er mit Alkohol und glitzerndem Tand bezahlte. Vor allem die San arbeiteten für ihn, denn die Herero sind keine Freunde der Weißen. Man muß Selkirk allerdings zugute halten, daß er dieses Tal rechtmäßig von den Häuptlingen der Herero erworben hat, und er gab ihnen keinen Schnaps dafür, sondern Rinderherden – also ein völlig legitimes, anständiges Geschäft.«
»Er war nicht zufällig Ihr Großvater oder so was?« fragte Cendrine sarkastisch.
Ein schwaches Lächeln lag um seine Mundwinkel, als er antwortete: »Ich habe Selkirk nicht mehr gekannt. Aber ich glaube nicht, daß er ein schlechter Mensch war.«
»Trotzdem haben ihn die Herero ermordet.«
»Haben sie nicht«, behauptete er fest. »Genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.«
»Aber Ihre Mutter sagte –«
»Ich weiß, was sie sagt. Sie will nicht wahrhaben, was wirklich geschehen ist.«
»Was ist geschehen?«
»Sie sind tatsächlich neugierig.« Er grinste. »Es gab in dieser Gegend immer wieder Aufstände, und auch heute ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Rebellion ausbricht. Irgendwann wird es wieder Kämpfe geben, vielleicht schon
Weitere Kostenlose Bücher