Göttin des Frühlings
mulmig zumute.
Lina beobachtete ihn und hätte das Thema beinahe ruhen lassen. Dann jedoch fielen ihr seine Worte vom Vorabend ein. Er wollte von ihr mehr als einfach nur Sex. Das wusste sie nun, und wenn zwischen ihnen mehr entstehen sollte, müssten sie miteinander reden können. Über alles und jedes. Ehrlich gesagt, fühlte sich Lina auch zu alt für die Spielchen, wie sie unter Collegeschülern üblich waren, mit dem Schweigen und den Missverständnissen, die unweigerlich dazugehörten. Sie war eine erwachsene Frau, und sie musste sagen können, was ihr durch den Kopf ging.
»Wenn du keine Gäste haben willst, warum hast du dann so einen großen Palast mit so vielen leeren Zimmern gebaut, die nur darauf warten, gefüllt zu werden?«
Hades dachte über die Frage nach. Wie viel sollte er vor ihr zugeben? Ganz bestimmt wollte er ihr nicht verraten, dass er noch nie zuvor etwas mit einer Göttin gehabt hatte, weder eine Affäre noch sonst irgendetwas, dass er sich seit einer Ewigkeit nach etwas anderem sehnte als der Oberflächlichkeit, mit der sich der Rest der Unsterblichen zufriedengab. Er erinnerte sich an seinen letzten Besuch auf dem Berg Olymp. Aphrodite hatte ihm ein unverhohlenes Angebot gemacht, aber er war nicht darauf eingegangen. Später hatte er gesehen, wie sie mit Athene die Köpfe zusammensteckte und feixte, welcher Teil seines Körpers wohl ebenso tot sei wie sein Reich. Bei der Erinnerung an diese schneidenden Worte stieg Wut in ihm hoch. Sein Körper war nicht tot. Er bildete eine Einheit mit seiner Seele, und seine Seele wollte mehr als das unaufrichtige Interesse einer selbstverliebten Göttin.
Was sollte er sagen, damit Persephone nicht panisch die Flucht ergriff? Er warf ihr einen Seitenblick zu. Aufmerksam schien sie auf seine Antwort zu warten. Er musste so ehrlich wie möglich zu ihr sein. Er konnte nicht lügen oder heucheln. Eine dauerhafte Beziehung konnte nicht auf Unwahrheiten gründen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Ich habe mich schon öfter selbst gefragt, warum ich ihn gebaut habe. Vielleicht hatte ich gehofft, dass ich eines Tages lernen würde, meine …« – er suchte nach dem richtigen Wort – »… meine Andersartigkeit zu überwinden.«
»Andersartigkeit? Was meinst du damit?«
»Ich fand es schon immer schwierig, mit anderen Unsterblichen zurechtzukommen«, sagte Hades langsam. »Du musst wissen, dass ich gemieden werde, weil ich der Herr der Toten bin.«
Lina wollte widersprechen. Doch dann erinnerte sie sich an Demeters Blick, als sie von Hades gesprochen hatte, an die abwertende Geste, mit der sie ihn als unwichtig, uninteressant abgetan hatte. Plötzlich wurde sie wütend.
»Die wissen einfach nicht, wie du wirklich bist.«
»Und wie bin ich wirklich, Persephone?«
Lina lächelte ihn an und sprach genau das aus, was ihr durch den Kopf ging: »Du bist interessant und humorvoll, sexy und mächtig.«
Hades schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich ein Topf voller Überraschungen.«
»Ist das etwas Gutes oder Schlechtes?«
»Das ist etwas wunderbar Gutes.«
Lina war hin und weg. Sie konnte ihm nicht länger widerstehen und wollte es auch gar nicht. »Das freut mich.«
»Du bist völlig anders als die anderen Unsterblichen. Du weißt doch, wie sie sind … so eingenommen von ihrer eigenen Bedeutung, immer darauf aus, die anderen zu übertreffen, nie mit dem zufrieden, was sie haben.« Er schüttelte erneut den Kopf und beugte sich vor, um mit den Fingerspitzen über ihre Wange zu streicheln. »Du bist ehrlich und wirklich – genau so sollte eine wahre Göttin sein.«
Ehrlich und wirklich? Eine wahre Göttin? Lina hätte sich am liebsten unter einem Stein verkrochen. Sie war ja gar nicht die, die sie zu sein vorgab.
»Ich … du … ich …«, stammelte sie, unsicher, was sie sagen sollte.
Hades gab ihr keine Möglichkeit, ihre Gedanken zu ordnen. Er rutschte nach vorne und zog sie in seine Arme. Ihr Mund war noch kalt vom Quellwasser. Am liebsten wäre er mit ihr verschmolzen. Er ließ sich in den weichen Kuss sinken. Wenn er doch nur schon früher von ihr gewusst hätte. Wie konnte er nur so lange ohne sie ausgekommen sein? Die Göttin schlang ihre Arme um ihn und drückte die Brust gegen seinen Oberkörper. Hades stöhnte. Sein Verlangen nach ihr führte ein pulsierendes Eigenleben.
Plötzlich zuckte Lina zusammen und schrie auf. Sie strampelte, trat ins Wasser und zog ihre langen nackten Beine aus dem Teich. Dann sprang sie auf und
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