Göttin des Frühlings
verarbeitest, der sich zu einer Kugel formen lässt, rufe die Göttin mit diesen Worten an: »Ich rufe Dich, o Göttin der Ernte, ich heiße Dich hier willkommen inmitten der Dinge, die Du geschaffen hast.«
Knete den Teig 10 bis 15 Minuten auf einer bemehlten Fläche, bis er weich, glatt und geschmeidig ist; wenn nötig bestäube ihn mit Mehl. Während er Form annimmt, spreche die folgenden Sätze zu Demeter: »Möge Macht gehen und kommen und mich mit Dir vereinen, o Göttin der Ernte. Mache mich größer, mache mich besser, schenke mir Kraft und schenke mir Macht.«
Linas Hände verfielen in einen gleichmäßigen Rhythmus, während sie den Teig mühelos auf der bemehlten Arbeitsfläche knetete. Ihr Blick war auf die Worte gerichtet, die ihr so leicht über die Lippen gingen, wie die Knetbewegung ihren Händen vertraut war.
»O Demeter, Du mein Schutz und meine Gefährtin, ich danke Dir. Möge mein Ruf in Dein Ohr dringen, und mögen Deine Weisheit und Stärke mich bereichern und immer edler werden lassen, so wie das Korn zur Ernte reift.«
Beim Kneten ließ Lina ihre Gedanken schweifen. Welch unglaublich fesselnde Vorstellung – die Zauberkraft einer griechischen Göttin mit einem Rezept zu verbinden, das von Müttern an Töchter weitergegeben und so über Generationen erhalten worden war. Es war so eine herrlich natürliche Idee, übers Backen die Macht einer Göttin anzurufen! Ob es wirklich funktionierte, ob da wirklich eine Göttin zuhörte, war nicht wichtig. Es war ein wunderbares, stärkendes Ritual – ein Ritual, das zumindest half, die Gedanken auf das Positive zu richten und sich einen Moment Zeit zu nehmen, um sich an der prallen Weiblichkeit des gewählten Handwerks zu erfreuen.
Der süße Kiefernduft der grünen Kerze vermischte sich mit den erdigeren Gerüchen von Hefe und Mehl. Das köstliche Aroma war berauschend. Unerwartet spürte Lina, wie eine vom Geruch ausgelöste Welle von Sinneseindrücken über ihren Körper hinwegrauschte. Kurz wurde ihr schwindelig, sie war desorientiert, als sei sie ihrer Küche entrissen und zusammen mit dem Teig und allem anderen mitten in einen Kiefernwald versetzt worden. Mit der Rückseite ihrer mehlverkrusteten Hand rieb sie sich über die Stirn. Ihr Kopf war unnatürlich warm, doch die Berührung durch die Hand brachte Lina zurück in die Gegenwart, und der Schwindel verschwand.
Es war ein anstrengender Tag gewesen. Sie sollte sich nicht wundern, dass er ihr zu schaffen machte. Lina kreiste mit den Schultern, legte den Kopf abwechselnd auf die Brust und in den Nacken, damit die müden, überanstrengten Muskeln sich dehnten und entspannten. Heute Nacht würde sie sicherlich gut schlafen.
Sie schielte nach unten auf den Rest des Rezepts. Da standen die üblichen profanen Anweisungen, man solle den Teig in einer abgedeckten Schüssel mindestens acht Stunden gehen lassen. Ungeduldig überflog Lina den Text, bis sie den Abschluss des Beschwörungsrituals fand.
* Teile eine kleine Portion des Teiges ab. Wähle einen besonderen Ort – außerhalb des Hauses –, wo du deine Opfergabe darbringst. Besprenkele sie mit Wein und biete sie Demeter mit folgenden Worten an: »O Göttin der reichen Ernte, Göttin von Kraft, Macht und Weisheit, ich entsende Dir meinen Gruß, meine Ehrerbietung und meinen Dank. Sei gepriesen!«
* Beachte: Du möchtest vielleicht dein persönliches Anliegen und deinen Lobpreis hinzufügen, bevor du das Ritual beendest. Möge der Segen auf dich herabkommen und mögest du niemals Hunger leiden!
Linas Lächeln wurde spöttisch. Ihren üppigen Hüften nach zu urteilen, konnte sie hin und wieder ruhig mal etwas Hunger leiden. Nicht dass sie dick war, beschwichtigte sie sich schnell, sie war einfach nur kurvig. Aber Kurven waren heutzutage nicht besonders angesagt. Sie schnaubte leise vor sich hin. Niemals würde sie verstehen, warum die junge Generation so besessen war von knabenhaften Frauen, die sich jede Weiblichkeit aus dem Leib hungerten und kotzten. Lina gefiel sich so, wie sie war, mit ihren Kurven.
»Ich bin wie eine Göttin«, sagte sie selbstsicher.
Ohne weiteres Zögern trennte sie einen kleinen Teil des frisch zubereiteten Teigs ab und legte ihn beiseite, dann formte sie den Rest zu einer Kugel und deckte ihn zu. Die Beschwörung hatte sie bereits durchgeführt, es war nur richtig, dass sie dem Ritual bis zum Schluss folgte. Schließlich hielt sich kein guter Koch nur teilweise an ein Rezept.
Es dauerte nicht
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