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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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um. Nichts regte sich; selbst Edith Anne beobachtete sie nicht länger, sondern schnarchte leise. Lina kauerte sich hin und legte die Teigkugel zwischen zwei besonders dicke Wurzeln, die sich unter dem Baum kreuzten.
    Wieder schaute sie sich um. Als sie überzeugt war, dass sie bis auf die schnarchende Bulldogge allein war, tauchte sie die Finger ins Weinglas und sprenkelte rote Tropfen auf den Teig.
    Es fühlte sich gut an. Lina lächelte. Es fühlte sich richtig an. Immer noch lächelnd benetzte sie ihre Finger erneut und verteilte den hervorragenden Chianti Classico um den Stamm des alten Baumes. Mit unterdrücktem Kichern träufelte sie den Wein auf die knorrigen Wurzeln, bis der Kristallbecher leer war. Dann drückte sie die Schultern durch und räusperte sich.
    »Ich möchte gerne noch etwas sagen, bevor ich dieses rasante Rezeptritual beende.«
    Lina grinste über ihre Alliteration, dann riss sie sich zusammen, und ihre Gesichtszüge wurden nüchterner. Sie wollte auf keinen Fall respektlos sein; Grinsen und Kichern am Ende eines Beschwörungsrituals galten mit Sicherheit als Fauxpas. Lina setzte erneut an.
    »Demeter!« Das Wort huschte mit solcher Kraft über Linas Lippen, dass der Name der Göttin durch den gesamten Hof hallte und selbst Edith sich regte und ihre Augenlider flatterten. Dann ließ der Hund seinen schweren Körper wieder sinken und schlief weiter. Lina schluckte und dämpfte ihre Stimme. »Ich heiße Carolina Francesca Santoro, und ich möchte dir mitteilen, dass mir dein Ritual sehr viel Spaß gemacht hat. Ich glaube, aus dem Teig wird eine hervorragende Pizza, und ich freue mich schon darauf, sie zu probieren.«
    Ihre Stegreifrede erinnerte sie daran, warum sie mit Rezepten zu experimentieren begonnen hatte, und sie wunderte sich, die Ursache überhaupt vergessen zu haben. Die Falten auf Linas Stirn wurden tiefer, sie ließ die Schultern sinken.
    »Ich hoffe, sie wird gut. Nein, hoffen reicht nicht – sie muss einfach gut werden. Ich darf meine Bäckerei nicht verlieren. Ich bin für sie verantwortlich; zu viele Menschen sind von mir abhängig. Demeter, wenn du mich hörst, dann sende mir bitte Hilfe. Dafür werde ich … ähm, ich werde …«, stotterte Lina, dann sagte sie schnell: »Ach, verdammt nochmal, ich habe keinen blassen Schimmer, was für einen Gefallen ich dir dafür tun könnte.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und ich entschuldige mich für das hässliche Fluchen. Wie wäre es, wenn ich einfach sage, so von Frau zu Frau, dass ich deine Hilfe wirklich zu schätzen wüsste und mich mit einem Gefallen revanchieren würde, wenn das ginge.«
    Zufrieden schloss Lina die Augen und erinnerte sich an die letzten Worte der Beschwörungsformel.
    »O Göttin der reichen Ernte, Göttin von Kraft, Macht und Weisheit, ich entsende dir meinen Gruß, meine Ehrerbietung und meinen Dank. Sei gepriesen!«
    Bei den Worten
Sei gepriesen
verspürte Lina ein überwältigendes Gefühl der Befreiung, so als – ihre Lippen zuckten – sei ihr Gebet tatsächlich erhört und beantwortet worden. Natürlich wusste sie, dass das nicht wirklich möglich war, aber sie glaubte durchaus an die Kraft des positiven Denkens … an sich selbst erfüllende Prophezeiungen … Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben. Lina glaubte an die Macht von
La magia dell’Italia
.
    Sie atmete tief durch und riss die Augen vor Überraschung weit auf: Ein verlockend süßer Geruch stieg ihr in die Nase. Was war das für ein Duft? Lina sog erneut die Luft ein. Der war ja wunderbar! Wie ein scheues Reh die Nase in den leichten Wind haltend, schnüffelte sie die Eiche ab. Und blieb dann abrupt stehen. Mitten in dem Gewirr von Wurzeln auf der anderen Seite des Baumes wuchs eine umwerfende Blume. Ihr Stängel war lang und dick, massiv wie ein Gartenschlauch, reckte sich fast sechzig Zentimeter in die Höhe und ging in eine riesengroße glockenförmige Blüte mit gezacktem Rand über.
    »Oh! Du bist aber hübsch! Dabei ist es noch zu früh für Osterglocken.« Lina schüttelte den Kopf und korrigierte sich automatisch: »Für Narzissen, meine ich.«
    Doch wie auch immer Lina sie nannte, diese Blume war auf jeden Fall ungewöhnlich, nicht nur weil sie so früh blühte. Gebannt kniete sie sich davor. Die Blüte war von einer leuchtenden, cremig-gelben Farbe, so als sei ein Stück vom Mond auf die Erde gefallen und ausgeschlagen. Lina konnte sich nicht erinnern, schon einmal eine derart große Narzisse gesehen zu haben. Wenn sie

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