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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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würde sie von einem gewaltigen Staubsauger aus ihrem Körper gesogen. Kurz war sie tatsächlich in der Lage, auf die starre Hülle ihres körperlichen Selbst zu schauen, dann wurde sie nach vorn in das blendend grelle Licht katapultiert, das im Herzen der immer größer werdenden Narzissenblüte pulsierte. Linas Kopf rebellierte, während ihr Bewusststein den runden Stängel hinuntertaumelte.
    Sie versuchte zu schreien. Sie versuchte innezuhalten. Sie versuchte zu atmen, doch sie spürte nur noch die Vorwärtsbewegung und das qualvolle Gefühl von Vertreibung. Als sie gerade glaubte, verrückt zu werden, bemerkte Lina ein kräftiges Zerren, dann ploppte sie aus dem Stiel und prallte gegen etwas. Tränen traten ihr in die Augen, so dass sie nur noch vage Umrisse erkennen konnte.
    Unwillkürlich schnappte sie nach Luft. Von Schwindel ergriffen, schlug sie wild um sich, bis ihre Arme den grasigen Boden trafen, auf dem sie saß. Um wieder zu sich zu kommen, legte sie sich lang hin und streckte die Arme weit aus, als würde sie den Erdboden umarmen wollen. Sie drückte das Gesicht ins Gras, zitterte und keuchte, fühlte sich in einem seidenen Netz gefangen.
    »Lass mich! Weg da!« Voller Panik riss sie an dem, was sie fesselte. »Autsch!
Merda!
«
    Ein stechender Schmerz durchfuhr sie. Sie hatte an ihren eigenen Haaren gerissen. Im selben Moment klärte sich ihr Blick. Sie lag tatsächlich auf grasbewachsenem Grund. Ihre Hände hatten sich in einem dichten Wust mahagonifarbener Haare verfangen, die ihr bis zur Taille reichten.
    Bis zur Taille. Lina blinzelte die Tränen fort und blickte an sich hinunter.
    Mit einem tiefen Atemzug öffnete sie den Mund und stieß einen Schrei aus, der jedem Horrorfilm zur Ehre gereicht hätte.

5
    »Beruhige dich! Du hast nichts zu fürchten!«
    Lina riss die Augen von dem Körper, der auf gar keinen Fall ihr gehörte. Vor ihr befanden sich zwei Frauen. Diejenige, die gesprochen hatte, war groß, dünn und hatte graues Haar, das zu einem strengen Knoten zurückgenommen war. Die andere daneben schwieg. Sie saß auf einem – Lina zwinkerte mehrmals, ihr Kopf wollte nicht glauben, was ihre Augen sahen – gewaltigen Thron und war in cremeweißes Leinen gehüllt. Das blonde Haar war in kunstvollen Zöpfen um ihren Kopf drapiert, darauf ruhte hoheitsvoll eine fein ziselierte Krone aus – wieder blinzelte Lina, doch das Bild veränderte sich nicht – zart in Gold gearbeiteten Kornähren. In einer Hand hielt die Frau ein langes Zepter, in der anderen einen güldenen Becher. Die Sitzende war schön, doch ihre Schönheit hatte etwas Ernstes, Würdiges, was man gemeinhin als eindrucksvoll bezeichnete. Aufmerksam beobachtete sie Lina.
    »Willkommen in meinem Reich, Carolina Francesca Santoro, Menschenkind.«
    Fragen drängten sich in Linas Kopf. Sie hatte Mühe, ihre Verwirrung und das anhaltende Gefühl körperlicher Vertreibung zu verdrängen. Ihr Atem ging stoßweise in panischen Schüben. Sie warf einen kurzen Blick an sich hinab. Durch das seidige Kleid, das sie trug, konnte sie deutlich die dunkelroten Spitzen ihrer perfekt geformten Brüste erkennen, die gegen den dünnen Stoff drückten.
    Selbst vor fünfzehn Jahren hatten Linas Brüste nicht so ausgesehen. So was wie hier war nur mit Hilfe von Computertechnik möglich. Ein echter Körper konnte nicht so vollkommen sein.
    »O Gott! Ich glaube, ich muss mich übergeben«, sagte Lina. Sie schlug die Hand vor den Mund. Das war gar nicht ihre Stimme! Wo war die weiche Mischung aus Oklahoma-Akzent und dem italienischen Klang ihrer Großmutter geblieben? »Was ist mit mir passiert?«, fragte sie atemlos.
    »Wie Eirene schon sagte, du hast hier nichts zu fürchten.«
    Die Stimme der königlichen Dame war tief und tröstlich. Lina fand darin Halt und zwang sich, langsamer zu atmen. Sich zu übergeben wäre jetzt nicht hilfreich. Allmählich setzte ihr Verstand wieder ein, und sie registrierte die Worte der Frau.
    »Du sprachst gerade von deinem Reich. Was meinst du damit? Wo bin ich?«
    Demeter ließ sich Zeit mit der Antwort. Schon jetzt trauerte sie, dass die Seele ihrer Tochter nicht mehr da war. Nichts wünschte sie sich so sehr, wie Persephone zurückzurufen und gewiss zu sein, dass ihr Kind in ihrer Nähe war, geschützt und sicher. Aber das war ja gerade das Problem. Sie hatte ihre Tochter zu lange beschützt. Es war Zeit, dass Demeter zuließ beziehungsweise darauf bestand, dass Persephone erwachsen wurde. Die Göttin hatte ihren

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