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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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des Hades ist direkt dahinter. Dort wirst du den Eingang zur Welt oben finden.«
    Lina stellte fest, dass sie seine Wegbeschreibung eigentlich gar nicht brauchte. Demeter hatte recht gehabt; es war, als würde ihr Körper wissen, welcher Weg ins Licht führte. Dennoch lächelte sie den Fährmann höflich an.
    »Danke, Charon. Von hier an weiß ich den Weg.« Sie machte einige Schritte, hielt inne und drehte sich noch einmal zu dem großen Mann um. »Wenn ich zurückkomme, wirst du hier sein, nicht?«
    Beinahe lächelte Charon. »Ja, Göttin.«
    »Gut.«
    Lina und ihre Lichtkugel entfernten sich vom See. Hades folgte ihr im Schutze der Unsichtbarkeit.
    Die Pforte aus Elfenbein erhob sich vor Lina. Zum Glück war vom unheimlichen Nebel schlechter Träume nichts zu sehen. Lina lief hindurch und kniff die Augen zusammen, um Eurydikes geisterhafte Gestalt zu entdecken, doch sie sah nichts als samtene Düsternis. Sie blieb stehen und lauschte angestrengt. Sie konnte Musik hören, aber sie war fern und undeutlich.
    Bitte, bitte lass mich nicht zu spät kommen, flehte Lina stumm und begann wieder zu rennen.
    Das dichte Wäldchen aus weißen Bäumen nahm sie kaum wahr, schon lag es hinter ihr. Dann entdeckte sie den Tunnel und seufzte erleichtert, als sie darin deutlich die Silhouetten von zwei Personen sah. Die eine war mehrere Meter weiter vorn.
    Lina rannte lautlos und überbrückte die Entfernung, die sie von Eurydike trennte, ohne Luft zu holen.
    Die Musik war so lieblich. Lina spürte, wie sich ihre Schultern entspannten und ihre Schritte zauderten. Sie könnte sich doch einfach ein Weilchen ausruhen und …
    Höre nicht auf diese Musik!,
hallte es durch ihren Kopf, und mit der Macht einer Göttin verscheuchte sie die klebrig süßen Töne von Orpheus’ Gesang. Mit plötzlich klarem Kopf konnte Lina nun etwas hören, das bis zu diesem Moment vom Zauber der Musik übertönt worden war: Eurydikes Schluchzen.
    Als spürte sie die Gegenwart der Göttin, sah sich das Mädchen über die Schulter um. Bei Linas Anblick verzog es vor Rührung das Gesicht. Lina merkte, dass Eurydike gegen die Verlockung der Melodie ankämpfte. Obwohl sie fast am Ende des Tunnels angekommen waren, stolperte der kleine Geist und zog die Füße nach, wehrte sich mit aller Kraft gegen die magische Anziehungskraft der Musik. Mit übermenschlicher Anstrengung artikulierte Eurydike lautlos zwei Wörter in Richtung der Göttin:
Hilf mir!
    Orpheus trat in das Sonnenlicht der irdischen Welt.
    Hades zog sich die Tarnkappe vom Kopf und bereitete sich auf etwas vor, was er noch nie getan hatte: Er würde sein Wort brechen, indem er Eurydike die Erlaubnis verweigerte, die Unterwelt zu verlassen.
    Doch bevor er handeln konnte, setzte sich Persephone in Bewegung. Sie griff nach Eurydikes Hand und hielt sie fest, damit der kleine Geist nicht vom Rande der Unterwelt ins Licht treten konnte. Dann rief sie mit einer hohen Stimme, die Eurydike perfekt nachahmte, dem Sänger etwas zu, der dastand und ihnen den Rücken zugewandt hatte.
    »Ach, du liebe Güte! Guck mal, Orpheus! Durch das Sonnenlicht wird mein Gewand ganz durchsichtig! Und ich habe überhaupt nichts drunter!«
    Mit einem Jubelruf wirbelte der eingebildete junge Musiker herum, doch sein triumphierender Blick verschwand, als er merkte, dass seine Angetraute und die Göttin Persephone noch immer sicher im dunklen Schlund der Unterwelt standen.
    » NEEEEIIN !« Sein Wutgebrüll hallte bis in den Tunnel. Er wollte sich auf die beiden stürzen.
    Unsichtbar hob Hades die Hand und erteilte einen lautlosen Befehl.
    Als der Sänger versuchte, in den schattigen Eingang zu Hades’ Reich zu gelangen, schien die Luft um ihn herum dichter zu werden. Trotzig schob Orpheus das Kinn vor und versuchte, voranzukommen, doch die unsichtbare Barriere ließ ihn nicht durch. Je mehr er sich anstrengte, desto fester wurde sie.
    »Du gehörst mir!« Seine Worte waren nicht mehr verführerisch oder magisch; sie waren hart und grausam.
    Eurydike wich vor ihm zurück, als hätte sie Angst, er würde sie schlagen. Lina wurde von selbstgerechtem Zorn ergriffen.
    »Du klingst wie ein verzogenes Kind. Man kann die Seele eines anderen Menschen nicht besitzen. Geh zurück in deine Welt! Lass Eurydike in ihrer Welt in Frieden«, rief Lina.
    »Niemals! Sie wird immer mir gehören!«, schrie Orpheus.
    Lina schüttelte den Kopf. Sie kannte diese Sorte von Mann. Nie wäre er damit zufrieden, eine Frau einfach nur zu lieben. Menschen wie er

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