Göttin des Lichts
dass Hades von dieser albernen Sterblichen angemessen verehrt wird. Er regiert zwar über die Toten, aber er ist ein Gott, und ganz gleich, wie seltsam sein Geschmack ist, hat er dennoch das Recht auf demütige Anbetung.«
Apollo rieb sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen. »So ist es nicht zwischen ihnen. Du solltest sie sehen, Artemis. Die beiden strahlen eine Zufriedenheit aus, die man nicht in Worte fassen kann. Vielleicht kann man sie nicht mal verstehen.« Er zögerte und fügte hinzu: »Jedenfalls ich nicht.«
»Du hast Hades und Persephone beobachtet?« Artemis konnte ihren Bruder nur ungläubig anstarren.
»Es ist nicht Persephone, sondern Carolina, die Sterbliche, die Menschenfrau. Hades hat Persephone nicht begehrt, er hat sich in Carolinas Seele verliebt, nicht in die unsterbliche Göttin. Und nein, ich habe sie nicht beobachtet. Jedenfalls nicht so, wie es sich aus deinem Mund anhört. Ich war Hades’ Gast in der Unterwelt – mehrmals«, schloss er hastig.
Dorthin war er also in letzter Zeit immer wieder verschwunden. Artemis hatte angenommen, dass er die Alte Welt besuchte, um sein Orakel zu überwachen oder etwas Interessantes anzuzetteln, vielleicht einen kleinen Krieg oder etwas Derartiges. Aber stattdessen hatte er Hades in der Unterwelt besucht. Seltsam.
»Hades war immer anders als wir anderen. Warum lässt du dich von seinen Verschrobenheiten stören?«
»Du verstehst das nicht.«
In seinen Augen war ein trauriger, nach innen gekehrter Ausdruck, der Artemis noch mehr Sorgen machte. »Dann erklär es mir.«
»Hades stört mich nicht. Die Sterbliche, die er liebt, stört mich nicht. Ich selbst störe mich.«
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Ich weiß, ich verstehe es ja selbst nicht recht. Ich weiß bloß, dass ich zum ersten Mal, seit ich existiere, einen Blick auf etwas erhascht habe, was ich mir wünsche, und ich habe keine Ahnung, wie ich es bekommen kann.«
Artemis’ erster Impuls war, sich über ihren Bruder lustig zu machen und ihn daran zu erinnern, dass Frauen leicht zu kriegen waren, aber etwas in seiner Stimme hielt sie zurück. Stattdessen musterte sie ihn aufmerksam, während sie ihren Drink schlürfte. Er sah müde aus, und sonst sah Apollo nie müde aus. War es möglich, dass er sich nach einer sterblichen Frau verzehrte? Artemis erinnerte sich noch gut an die letzte Sterbliche, die Apollos Liebe zurückgewiesen hatte. Kassandra hatte sie geheißen, und damals war er nicht verschlossen und in sich gekehrt gewesen, sondern wütend – so wütend, dass er die prophetische Gabe, die er ihr verliehen hatte, wieder außer Kraft setzte. Aber Sterbliche wie Kassandra waren Ausnahmeerscheinungen. Apollo war ein legendärer Liebhaber, Nymphen gerieten in Verzückung, wenn er lächelte, und sogar Göttinnen wetteiferten um seine Gunst. Konnte Sehnsucht nach einer Sterblichen sein Gedächtnis so vernebelt haben, dass er seine eigenen Verführungskünste vergessen hatte?
Ein Tumult lenkte sie von Apollo ab. Nicht weit von ihnen unterhielten sich einige Waldnymphen in durchsichtigen weißen Gewändern aufgeregt miteinander, ohne darauf zu achten, dass jeder Mann in Sichtweite sie begierig anstarrte.
Apollo folgte dem Blick seiner Schwester und lächelte. »Vielleicht war es doch nicht so schlau, den Nymphen Zutritt zur modernen Welt zu gewähren.«
»Ach, lass ihnen doch den Spaß, sie sind harmlos.«
»Wie harmlos sie sind, hängt ganz davon ab, ob du ein sterblicher Mann bist, der in den Strudel ihrer Reize gerät«, meinte Apollo trocken.
Als hätte der Blick des schönen Gottes sie gerufen, eilten einige der Nymphen zu Apollo.
»Herr, hast du gehört? Bacchus hat uns gebeten, die Sterblichen ein bisschen zu unterhalten.«
»Ja, wir sollen ein Beschwörungsritual machen.«
»Du solltest unbedingt zuschauen, Herr!«
»Ja, bitte komm und schau uns zu!«
Die Nymphen kicherten und warfen sich für ihren Lieblingsgott verführerisch in Positur, ehe sie wieder davonstoben.
Artemis lachte über ihre kindliche Begeisterung, aber als sie zu Apollo hinüberblickte, sah sie, dass er der kleinen Gruppe mit gerunzelter Stirn nachstarrte.
»Was wollen sie denn beschwören?«, murmelte Apollo vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu seiner Schwester.
Artemis knabberte an ihrer letzten Olive herum. »Segenswünsche … Fruchtbarkeit … Gesundheit … du weißt schon, die ganz normalen Dinge, mit denen die Nymphen sich bei einer Beschwörung zu vergnügen pflegen. Willst du
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