Göttin des Lichts
blieben vor dem Lost Cellar stehen. Obwohl beide überdurchschnittlich groß waren, war es nicht leicht, über die dichtgedrängten Menschen hinwegzusehen. Artemis gab einen frustrierten Laut von sich, aber kurz bevor sie mit den Fingern schnipsen konnte, flüsterte ihr Bruder: »Sei nicht so streng mit ihnen.« Sie zwinkerte ihm zu, bewegte unauffällig die schmalen Hände, und auf einmal verloren die Leute, die ihnen die Sicht versperrt hatten, spontan ihr Interesse an dem, was vor ihnen passierte. Sie räumten das Feld, und alle, die versuchten, ihren Platz einzunehmen, bekamen unvermittelt so heftige Bauchschmerzen, dass sie sich eiligst auf die Suche nach der nächsten Toilette machten.
»Keine Sorge, Bruder«, grinste Artemis. »Im Lauf des Abends werden sie alle viel Glück haben an diesen … wie hast du die scheppernden Kästen gleich noch mal genannt? Spiel…« Sie verstummte, als sie Apollos schockiertes Gesicht bemerkte. Unwillkürlich wandte sie den Kopf und folgte seinem bestürzten Blick. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu, wie die sitzende Statue im Zentrum des Brunnens sich langsam im Kreis drehte und zu sprechen begann.
»Kommt alle her, kommt alle! Kommt in die Einkaufshalle!«
»Das grässliche Ding sieht aus wie Bacchus«, stieß Artemis hervor.
»Ich glaube, es
ist
Bacchus«, erwiderte Apollo, dämpfte aber wohlweislich die Stimme.
Schon öffnete die Statue erneut den Mund und brachte ein groteskes Lachen hervor. »Ah, heute Abend haben wir etwas Besonderes, es ist Zeit! Ihr Nymphen, tanzt für die Gäste, immer schön zu zweit!«
Auf seinen Befehl hin verließen die Nymphen in Zweierpärchen ihren Platz am Rand der Menge und begannen, sehr zum Wohlgefallen der zuschauenden Sterblichen, sich im Rhythmus der Musik aus den Lautsprechern verführerisch um den Brunnen herumzubewegen. Goldener Glitzerstaub umgab die hübschen Waldgottheiten, die mit übermenschlicher Anmut umherwirbelten.
Anerkennend nickte die Bacchus-Statue mit dem Kopf, und seine diversen Kinne waberten wie Götterspeise, als er weitersprach.
»Ihr Nymphen, die Magie eurer Schönheit ist rein und echt. Apollo, sag an deine Meinung – ist es dir recht?«
Als Apollo seinen Namen hörte, zuckte er überrascht zusammen und machte einen halben Schritt nach vorn. Aber dann erstarrte er, denn nun begann sich eine der kleineren Statuen in dem Brunnen zu drehen und ebenfalls zum Leben zu erwachen.
»Ich stimme dir zu, sie sind hübsch und entzückend. Mit der Magie meines Lichts mach ich sie schöner und berückend!«
Sprachlos starrte der echte Apollo die Karikatur seiner selbst an. Im nächsten Augenblick wurde die Musik lauter, eine Laser-Show begann, und die Nymphen steigerten unter dem Beifall der hingerissenen Menge das Tempo ihres Tanzes.
»Wie kann er es wagen!«, zischte Artemis, aber ihr Bruder packte sie am Arm, als sie mit blitzenden Augen nach vorn laufen wollte.
»Warte! So direkt vor der Nase der Sterblichen können wir nichts unternehmen.«
»Lass mich einen einzigen Pfeil von meinem Bogen abschießen, dann wird Bacchus seinen geschmacklosen kleinen Scherz bis in alle Ewigkeit bereuen«, sagte Artemis.
»Nein«, beharrte Apollo, »aber er hätte meine Statue wenigstens ein bisschen weniger hässlich machen können.«
»Dieses Ding ist eine Gotteslästerung.« Artemis’ Stimme war leise und drohend.
»Leuchtet meine Leier tatsächlich grün?« Apollo versuchte vergeblich, ein Kichern zu unterdrücken. »Und bitte sag mir, dass mein Kopf nicht so groß ist.«
Doch die Antwort seiner Schwester wurde von Bacchus’ dröhnender Stimme übertönt.
»Liebliche Artemis, deine Schönheit raubt mir die Sinne. Gib den Befehl, dass die Beschwörung beginne!«
Jetzt war es Artemis, die sprachlos auf die nächste Statue starrte, die nun lebendig wurde – offenbar eine Kopie von ihr, aber nicht sehr schmeichelhaft. Langsam drehte die Gestalt sich um und hob ihren dicken Arm. Als sie zu sprechen begann, blieb Artemis fast die Luft weg, denn die mechanische Frauenstimme ähnelte ihrer nicht im Geringsten.
»So wag ich es heute, da ihr alle mich ruft, durch die Nymphen eine Beschwörung zu schicken in die schimmernde Luft. Meine Macht setz ich ein frank und frei, damit heute Abend sie bei euch sei.«
Sofort begannen die Nymphen ein hypnotisches Summen, während die Musikberieselung leiser wurde, bis sie nur noch den Hintergrund für ihre süßen Stimmen bildete.
»Der Kerl geht entschieden zu weit.« Apollos
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